Phantasien und Parodien um eine Operndiva. Les Contes d’Hoffmann am Theater an der Wien

Hoffmanns Erzählungen gehört nicht unbedingt zu meinen Hits in der Oper. Ähnlich  wie in der Carmen gibt es darin – so erscheint es mir- ein  paar Ohrwürmer zu viel. Und manches, so rührend es auch ist (“ Une chanson d‘ amour triste et folle“) klingt mir etwas zu zuckrig, kommt dem Kitsch gefährlich nahe.  Mögen Musikhistoriker und Musiker Hoffmanns Erzählungen ob ihres  Melodienreichtums und ihrer Raffinesse schätzen. Mag Offenbachs „phantastische Oper“ auch noch so sehr Bedürfnisse und Sehnsüchte eines breiten Publikums erfüllen. Mein Fall ist sie nicht. Doch
wenn eine so exzellente Sängerin und Schauspielerin wie Marlis Petersen gleich alle vier“ Traumfrauen“ singt und spielt und wenn das Theater an der Wien eine Inszenierung des eigenen Intendanten ankündigt, dann wird man neugierig und erwartet etwas Ungewöhnliches und Spektakuläres. Erwartungen, die sich, was Inszenierung und Orchesterklang angehen, nicht ganz erfüllten – und die sich, was die Primadonna angeht, mehr als erfüllten.

Die Musiker im Graben hatten es an diesem schwülen Hochsommerabend mit subtropischen Temperaturen in Wien und Sauna-Temperaturen  im Theater an der Wien besonders schwer. Vielleicht lag an es diesen widrigen Umständen, dass so manches, was da zu hören war, mit Verlaub gesagt, etwas langweilig und temperamentlos klang.
Zum Eindruck der Langeweile trug auch die Inszenierung bei. Nicht dass es an Effekten, an spektakulären Szenen, an einer geschickten Dramaturgie fehlte – wir kommen gleich darauf zu sprechen – , der Regie ist ein mir unverständlicher Fehler unterlaufen, ein Fehler, der sich vielleicht aus unzulänglichen technischen Möglichkeiten des Theaters an der Wien erklärt: statt durchzuspielen, wie das heute jedes mittlere Stadttheater vermag, zerhackt sie das Stück mit Licht-  und Umbaupausen und zerstört damit  den Fluss der Musik und alle Illusionen. Ein mir unerklärliches Defizit der Aufführung. Und dabei war doch, was auf der Bühne zu sehen war, durchaus geistreich und witzig, eben  sofisticated angelegt.

Roland Geyer als Regisseur hat auf der Grundlage der kritischen Ausgabe von Michael Kaye – so liest man im Programmheft – “ für das Theater an der Wien eine spezielle Spielfassung erarbeitet“, eine Fassung, die die Nebenhandlungen streicht, das Geschehen ( mit Ausnahme des Spiegelbildmotivs ) aus dem Bereich des Phantastischen löst, in die Welt von heute transponiert und auf die Hauptpersonen konzentriert. Hoffman, ein “ Künstler“ und Lindorf, ein „Manager“, kennen einander seit langem, schwärmen für den gleichen Frauentyp und geraten deswegen in Streit. Stella und Antonia sind ehrgeizige Opernsängerinnen, Olympia ist ein karrieresüchtiges  Model, und Giulietta ist ein „Luxus-Call-Girl“, und Hoffmann ist eben der Phantast, der sich eine für ihn  ideale Frau zusammenmontiert und eben deswegen scheitern muss, und Lindorf ist eben ein Intrigant, der den Bösewicht gibt. So ungefähr steht es im Programmheft, und so versteht man es auch ohne Kenntnis des Programmhefts.

All dies wäre nichts Besonderes, allenfalls eine Aktualisierung eines bekannten Stoffs und einer konventionellen Personenkonstellation, wenn die Regie nicht das allzu Bekannte mit Ironie und Parodie zu  brechen und mit den gängigen Erwartungen des Publikums zu spielen wüsste. Die Gäste beim Ball im Hause des Spalanzani und im Palast der Giulietta sind nicht irgendwelche Leute, sondern allesamt Opernfiguren, Gestalten aus Inszenierungen, die in den letzten Jahren im Theater an der Wien zu sehen waren. Vom glatzköpfigen Hamlet bis zum Papageno und zur Sandrina sind alle versammelt und spielen mit. Hoffmanns Erzählungen wird zum Figurenkabinett und zugleich zur Opernparodie in der Oper.
Allein  das ganze Spektakel  würde  nicht funktionieren, wenn die Regie nicht über eine alles und alle überragende Sängerin und Komödiantin wie Marlis Petersen verfügte.  Mit welcher Komik  die Petersen im Olympia -Akt den angeblichen Automaten als Heidi Klum Parodie gibt, wie sie in Mimik und Bewegung und affektiertem Getue den ganzen  Model-Zirkus ad absurdum führt und dem all(gemeinen Gelächter preisgibt, wie sie im Antonia-Akt die fragile und doch so ehrgeizige Opernsängerin mimt, die in der Künstlergarderobe  am Schminktisch sitzt und sich von ihrem Agenten, der ihren Ehrgeiz immer mehr anzustacheln weiss, zu Tode hetzen lässt, wie sie im Giulietta-Akt die kalte Laszive zu spielen weiss, das ist einfach brillant und bewunderungswert. Wie bei ihrer La Traviata in Graz in der Konwitschny Inszenierung beherrscht auch jetzt in Wien Marlies Petersen als Primadonna (im positiven Sinne des Wortes) die Bühne, und alle anderen Mitwirkenden, so tüchtig sie auch sind, haben es schwer, neben ihr bestehen zu können. Im Theater an  der Wien heisst die Oper nicht Hoffmanns Erzählungen, sondern Stellas Erzählungen.
Wir sahen die Aufführung  am 8. Juli. Die Premiere war am 4. Juli 2012.