In ihrer neuen Rolle als künstlerische Leiterin der Pfingstfestspiele präsentiert die Bartoli ein grosses Staraufgebot: Andreas Scholl, Philippe Jaroussky, Anne-Sophie von Otter,Sophie Koch, die Kasarova, die Netrebko und viele andere Berühmtheiten – und natürlich sich selber. Was Maestro Riccardo Muti bei vier Versuchen in Salzburg nur mühsam und manchmal gar nicht geschafft hatte – sich selbst zum Mittelpunkt der Festspiele zu machen – das schafft Cecilia gleich beim ersten Anlauf. Das Rezept ist ganz simpel, birgt keinerlei Risiko:sie macht einfach alles oder fast alles selber. Da kann nichts schief gehen. Am Freitagabend da singt und spielt sie Cleopatra im Giulio Cesare bis Mitternacht, am nächsten Abend gibt sie ein dreistündiges Konzert mit Barockarien, am Abend darauf noch einmal die Cleopatra, und am nächsten Abend springt sie mal so eben für die russische Primadonna ein, die kurzfristig absagen musste. Eine Bravourleistung, die man nur bewundern kann und die die Künstlerin zu Recht zum absoluten Star ihres eigenen Festivals macht. Nicht eine Spur von Anstrengung merkt man ihr an. Noch die dritte Zugabe beim Arienabend singt sie mit einer solchen Ausdruckskraft und einer solchen Leichtigkeit, dass man glaubt, wenn sie wolle, könne sie gleich noch ein halbes Dutzend Arien singen. Ob sie nun ein Lamento von Sartorio oder von Händel, ein Rezitativ und eine Arie von Hasse vorträgt, ob sie eine aria amorosa im Piano singt oder ob sie Koloraturen zwitschert, immer ist sie gleich virtuos. Ihr gelingt offensichtlich alles: auf dem Konzertpodium wie auf der Bühne. Wen wundert es, dass sie im Guilio Cesare gleich beim ersten Auftritt im Zentrum des Interesses steht.
Bei der dominierenden Präsenz und der „geläufigen Gurgel“ der Primadonna haben es die Stars, die im Giulio Cesare mit ihr auf Bühne stehen, nicht leicht, zumal es der Regie sehr gelegen kommt, wenn die Bartoli ihre komödiantische Begabung ausspielen darf. Und da die Regie beim Salzburger Giulio Cesare auf Boulevardkomoedie setzt, diese mit ein bisschen Politsatire und einer Prise Actionfilm mischt, bieten sich dem Star viele Gelegenheiten zu spektakulären Auftritten. Ob Cleopatra/Bartoli mit Liz Taylor Frisur im schwarzen Lederdress die Rockerin mimt, ob sie als Follies Bergeres Girl auf einer Minirakete in den Bühnenhimmel aufsteigt, ob sie als trauernde Anna Magnani im schwarzen Nachthemd auftritt, ob sie im Finale das glückliche Partygirl mimt, das endlich den reichen und mächtigen Liebhaber gefunden hat, unsere Primadonna singt und spielt das alles mit gleicher Virtuosität und Bravour.
Darstellerisch kann keiner der Akteure mit ihr mithalten. Gesanglich war ihr allerdings Philippe Jaroussky als Sesto durchaus ebenbürtig, und nicht für wenige im Publikum war er der eigentliche, der geheime Star des Abends. Keine Frage, dass auch alle anderen Rollen brillant besetzt waren. Wie Andreas Scholl „Aure, deh , per pieta spirate al petto mio…“, die berühmte Arie im dritten Akt des Giulio Cesare, singt, das war schon hinreissend. Schade nur, dass er den Cesare als biederen französischen Präsidenten geben musste, der mit der europäischen schnellen Eingreiftruppe einen arabischen Potentaten, einen Gadafi Verschnitt, mal so eben erledigt hat: „Monsieur Hollande en Egypte“ – so fing es an. Und dann waren wir auch gleich beim Boulevard und zwischendurch bei ganz viel Theaterblut und wüster Knallerei und Military Ballett. Alles recht unterhaltsam und nicht weiter störend. Auf grosse Regietaten darf man bei den Salzburger Pfingstfestspielen nicht hoffen. Das war schon bei Muti so, und so ist es, und so wird es auch bei der Bartoli nicht anders. Doch absolute Hochkultur in Gesang und Orchesterklang , das bieten die Pfingstfestspiele alle Male. Das war schon bei Muti so. Und das ist und wird bei der Bartoli nicht anders. Noch ein weiters bietet Salzburg zu Pfingsten: Raritäten. Heuer war es eine grandiose konzertante Aufführung der Cleopatre von Jules Massenet.
Es lohnt, zu Pfingsten nach Salzburg zu fahren – trotz der exorbitanten Eintrittspreise. Wenn das so weiter geht, wird bald das Publikum nur noch aus französischen und amerikanischen Luxusrentnern bestehen – und die gehen um 22 Uhr zu Bett, auch wenn die Signora Bartoli bis Mitternacht singt.