Beim neuen Münchner Ring ist alles vom Allerfeinsten. Generalmusikdirektor Nagano am Pult, ein brillantes Staatsorchester im Graben, ein berühmter Theatermacher als Regisseur, Sänger der ersten Garnitur, ein begeistertes Publikum. Und doch bleibt ein zwiespältiger Eindruck, ein fader Geschmack. Man traut sich gar nicht, es zu sagen. Kritik an der Bayerischen Staatsoper, und erst recht, wenn mit Wagner einer der Hausgötter auf dem Programm steht, ist in München verpönt. Die Dilettantin, die niemandem verpflichtet ist, die im Publikum sitzt, ihre Eintrittskarte selber bezahlt, hält mit ihrer Meinung nicht zurück. Sie hat in den letzten Jahren in unterschiedlichsten Häusern, in großen und kleinen, Das Rheingold gehört und gesehen. Doch München gebührt die Krone: ich habe mich zum ersten Mal beim Rheingold gelangweilt. Ja, ich weiß, es steht mir als Dilettantin nicht zu, die Interpretation des hoch geschätzten Maestro zu bekritteln, und es spricht ja auch nur für Wagner, dass seine Musik die unterschiedlichsten Deutungen zulässt, und es muss ja auch nicht die berüchtigte Droge sein, die frei nach Nietzsche Wagner für anämische Jünglinge und hysterische Damen bereit hält. Doch ob Wagner wirklich so vornehm zurückhaltend, so sanft und sacht, um nicht zu sagen so einschläfernd, vorgetragen werden sollte wie in München, ich weiß es nicht. Dabei fängt alles sehr spektakulär an. Noch bevor das berühmte „dumpfe, tiefe Es“ erklingt, noch bevor Wagner dunkel raunend vom Ursprung der Welt erzählen kann, setzt sich Theatermacher Kriegenburg schon in Szene und stellt mit einer Hundertschaft weiß gekleideter Statisten den Mythos vom goldenen Zeitalter nach, die Zeit der Unschuld und der unbeschwerten Liebe. Doch dieses Arkadien steht wohl kurz vor seiner Auflösung. Mit einem Male entledigen sich die letzten Arkadier ihrer Gewänder, beschmieren sich mit blauer Farbe (mit dem Urschlamm?), gruppieren sich an der Rampe, werden in rhythmischen Bewegungen zum Wasser, das frei nach Novalis seinen „wollüstigen Ursprung nicht verleugnen“ kann – und jetzt erst beginnt die Musik, erscheinen die Rheintöchter inmitten der sich drängenden, sich miteinander verschlingenden Körper, taucht ein halbnackter proletarischer Alberich gleichsam aus dem Wasser der Körper auf und sucht sich aus deren Umklammerung zu lösen. Zweifellos ein höchst spektakulärer Beginn, der vom „wollüstigen Ursprung“ der Welt erzählen will, und spektakulär, so hofft man, geht es auch weiter. Mitnichten. Schon im zweiten Bild ist alle Lust am Ende, ist alle Luft aus der Inszenierung heraus, hat sich die Regie schon gänzlich verausgabt. Zwar gelingen noch ein paar durchaus beeindruckende Szenen: die Riesen stehen auf Felsbrocken, in die frei nach Giulio Romano Bildgeschichten von der Niederlage der Giganten im Kampf gegen die Götter eingehauen sind. Alberich umgibt sich in Nibelheim mit einer martialisch ausgerüsteten schnellen Eingreiftruppe, die geradewegs aus einem Videoclip herausgesprungen sein könnte. Das war es aber auch schon. Immer wieder stehen die Akteure auf der von jeder Requisite freien Bühne ziemlich hilflos herum und singen direkt von der Rampe herab. Die Göttergesellschaft wirkt müd und matt, so als ob sie allesamt schon einen Platz im Altenheim gebucht hätten. Götterdämmerung schon im Rheingold. Alberich hat zwar eine Niederlage erlitten. Doch der machtgierige Prolet (ein Möchtegernkapitalist aus der Unterschicht?) ist so vital, dass ihm der Sieg über die schwachbrüstigen Möchtegernweltherrscher gleichsam von selber zufallen muss. Nimmt Regisseur Kriegenburg in seiner Rheingold Version eine der abgenutzten ‚großen Erzählungen‘, eben die marxistische, wieder auf? Nimmt er zugleich Abschied von dieser ‚großen Erzählung‘, wenn er im Nibelheimbild seinen Proleten als Gewaltherrscher und Ausbeuter in eine Art Gulag Szenarium hineinstellt? Wie dem auch sei. Eine einheitliche in sich stringente Konzeption kann ich dieser Rheingoldinszenierung nicht erkennen. Arkadien, das goldene Zeitalter, der Mythos vom Ursprung des Lebens aus dem Wasser, Luxuria, Klassenkampf, Träumereien von der Weltherrschaft, die Märchenwelt der Riesen, all dies vermischt sich – leider kaum in ‚luftiger Verschmelzung‘, sondern eher wie zäher Brei. Zum Trost: es wird brillant musiziert, gesungen und agiert– allen voran Wolfgang Koch in der Rolle des Alberich. Wir sahen die Aufführung am 12. Februar 2012. Die Premiere war am 4. Februar 2012.