Brillante Sänger zum Kolonialexotismus verdammt: Léo Delibes, Lakmé an der Oper Bonn

Die Bonner Oper ist ein seltsames  Haus. Ein modernes Haus, direkt am Rhein gelegen, großzügig gestaltete Foyers, ein im Verhältnis zu den Repräsentationsräumen recht kleiner Zuschauerraum, ein Repertoire, das zumindest in dieser Spielzeit das Ausgefallene sucht: Bellinis Sonnambula, Mozarts La Finta Giardiniera und jetzt Lakmé von Delibes, den man allenfalls als Komponist von Balletmusik kennt. Lakmé – ich hatte sie vorher noch nie auf der Bühne gesehen – ist wohl eine absolute Rarität auf den deutschen Opernbühnen, Lakmé, aus der man aus den Wunschkonzerten vielleicht das ‚Blumenduett‘ zwischen der Sopranistin und dem Mezzosopran aus dem ersten Akt und die Bravourarie der Sopranistin aus dem zweiten Akt, die ‚Glöckchenarie‘,  kennt. Sagen wir es gleich und ohne alle Umschweife: beide Hits werden in Bonn brillant vorgetragen. Miriam Clark in der Titelrolle, die mir als Arminda in La Finta Giardiniera gar nicht besonders aufgefallen war, ist jetzt als indische Brahmanen Tochter Lakmé ein Star, der mit seinem „glockenreinen“ Sopran und mit seiner Bühnenpräsens die ganze Aufführung trägt – und das (leider nur schwach besetzte) Haus zu begeistern vermag. Ein älterer Herr aus der Schweiz, der neben mir saß, konnte sich vor lauter Bravogeschrei gar nicht mehr beruhigen. „Orgasmus in der Opernluge“ flüsterte mir meine Freundin Ariadne zu. Schade nur, dass die Sänger sich in einer Bühnenwelt bewegen müssen, die ein Postkarten- und Märchenindien nachbilden möchte, wie es sich die Exotismus Mode des  späten 19. Jahrhunderts erträumte. Kolonialkitsch mit englischen Offizieren in eleganten weißen Uniformen, verklemmten englische Ladies in hellen langen Kleidern, die die fremde Welt bestaunen und sich  Tee servieren lassen, das ‚indische‘ Personal in der landesüblichen Aufmachung, die so plötzlich von der ’Liebe als Passion‘ getroffene Tochter des fundamentalistischen Brahmanen, die ihr Leben opfert, um den englischen Offizier vor der Rache des Brahmanen zu retten, und der – der oberflächliche Europäer – weiß natürlich gar nicht, was ihm geschieht. War das alles nur ein Traum? Die Szene der Unsicherheit, der Ambivalenz  im Finale ist vielleicht die  einzig überzeugende Szene der Inszenierung. Ansonsten Kolonialkitsch mit Frauenleiche zu einer schönen, gefälligen Musik mit einer herausragenden Sängerin in der Titelrolle. Wir sahen die Aufführung am 8. Februar 2012. Die Premiere war am 29. Januar 2012.