Es war beinahe alles so wie vor ein paar Wochen bei Donizettis Linda in Barcelona: höchst brillante Sänger – eine Inszenierung aus dem Opernmuseum. Der einzige, allerdings entscheidende Unterschied zum Teatre del Liceu: in Berlin wird nicht müd und matt musiziert. Hier wetteifert das Orchester der Deutschen Oper unter der Leitung von Alberto Zedda, dem Rossini Spezialisten schlechthin, in Brillanz und Perfektion mit den Sängern. Einen so schwungvollen Rossini, bei dem zugleich alle Orchesterstimmen solistisch erklingen, habe ich schon lange nicht mehr gehört. Und wenn auf der Bühne Patrizia Ciofi als unglückliche Amenaide und Hadar Halévy als nicht minder unglücklicher Tancredi in den Rossini Koloraturen brillieren, dann wird in der Tat Belcanto vom Allerfeinsten geboten. Doch wie schon in Barcelona fragt sich die begeisterte Zuhörerin, warum man ein so herausragendes musikalisches Spektakel nicht konzertant anbietet und auf das dürftige, um nicht zu sagen, peinliche szenische Spektakel verzichtet. Zwar kommt es nicht ganz so schlimm wie in Barcelona. In Berlin zeigt man „eine Produktion des Rossini Festivals in Pesaro aus dem Jahre 1999“, für die mit Pier Luigi Pizzi als Regisseur ein Altmeister des italienischen Theaters verantwortlich zeichnet. Wenn man so will, dann mag man die ach so hausbackene Inszenierung des verdienstvollen Theatermannes als ein Patchwork aus Bruchstücken italienischer Mythen aus Geschichte und Film verstehen. Der Bösewicht in schwarzem Outfit, schwarzen Reitstiefeln, mit Stiernacken und Glatze ist natürlich ein Mussolini Verschnitt, Tancredi scheint mit Garibaldis rot gewandeten Getreuen in Sizilien gelandet zu sein, der wankelmütige Vater ist wohl ein ehemaliger Kirchenmann. Sein Habit, eine Mischung aus Dominikaner- und Franziskaner Gewand, weist in diese Richtung. Amenaide in ihrem schwarzen langen Kleid und ihre ebenfalls schwarz gekleideten Begleiterinnen kommen wohl gerade von den Dreharbeiten zu Pasolinis Medea herüber, die martialischen Kostüme der Mannen hat man wohl aus einem Mittelalterschinken in Cinecittà entliehen, und die Säulenhallen, in denen die Darsteller Opernsänger aus der Welt von gestern mimen, sind faschistische Architektur in Reinkultur, wie man sie auch heute noch in jeder mittelgroßen italienischen Stadt findet. Und das Finale? In Pesaro und dementsprechend in Berlin hat man sich für die sogenannte Ferrara Variante, also für den tragischen Schluss entschieden. Eine schöne Gelegenheit für das Regieteam, an Hernani und an Tristan und Isolde zu erinnern und den armen Tancredi in den Armen der unglücklichen Amenaide unter Seufzern dahinscheiden zu lassen. Wie schön, wie rührend, wie traurig, wie romantisch. Allgemeine Begeisterung im Publikum. Großer Beifall auch für die Regie. Mäkeln wir also nicht an der Inszenierung herum. In Italien und wohl auch an der Deutschen Oper in Berlin mag man es halt konventionell und brav und bieder. Konzentrieren wir uns lieber auf Musik und Gesang. Und die waren eben ‚schön‘, eben Belcanto in Luxusausführung.
Wir sahen die Premiere am 22. Januar 2012. Weitere Aufführungen sind für den 26. Januar und den 1. Und 4. Februar angekündigt.