Bei Hoffmanns Erzählungen, das notierte ich mir, als wir vor ein paar Wochen die Essener Hoffmann Inszenierung sahen, da ist es gleich, wer dirigiert und wer inszeniert. Was für das Aalto Musiktheater gilt, das gilt nicht minder für die Bayerische Staatsoper: bei Hoffmanns Erzählungen ist das Haus immer voll. Wenn man für die Rolle des Trunkenbolds und Literaten Hoffmann noch einen lyrischen Tenor hat, dem das Dramatische nicht fremd ist und wenn man des weiteren eine Sopranistin hat, die die scheinbar mechanischen Koloraturen der Olympia und das lyrisch-sentimentale Singen der Antonia in gleicher Weise beherrscht und überdies noch eine etwas verruchte Kurtisane Giulietta mimen kann und wenn die Intendanz, wie jetzt in München geschehen, mit Rolando Villazón und Diana Damrau auch gleich zwei Superstars für die Hauptrollen engagieren kann, dann sind nicht nur alle Vorstellungen ausverkauft. Dann stehen noch viele Interessierte im Portikus des Bayerischen Musentempels und schauen vergeblich nach Karten aus.
Rolando Villazón sang ja auch wirklich wunderschön, ist mit seinem dunklen Wuschelkopf und seiner schmalen Figur eine elegante Bühnenerscheinung, und leidlich gut schauspielern kann er auch noch. Was will man mehr. Ja, und wenn er dann „la légende de Kleinzack“ schmettert und sich lyrisch sanft in den ersten Träumereien verliert und erst recht, wenn er mit der Damrau, die als brustkranke Antonia im weißen Kleid und schwarzer Perücke (beinahe wie eine Käthe Kruse Puppe) auftritt, das berühmte Liebesduett singt („C’est une chanson d’amour / Qui s’envole, / Triste ou folle“) singt, ja dann rühren er und sie in holder Eintracht die Damen im Publikum zu Seufzern und Tränen. Selbst die betagten, ewig schwatzenden Abonnentinnen in der Reihe hinter mir, die gerade eben noch lauthals von Rudolf Schock (sic) schwärmten, wurden still. Und der Jüngling in der Reihe vor mir, den wohl seine Freundin in die Oper geschleppt hatte, wachte mit einmal wieder auf. Und ich? – Ich kann diesen Kitsch, diese Gefühlsduselei, mögen die Musikhistoriker Offenbachs opéra fantastique auch noch so rühmen, ich kann sie eigentlich nicht mehr ertragen. Und beim nächsten Mal (Ende März sehen und hören wir Hoffmanns Erzählungen im Theater an der Wien) dann mache ich es wie Hoffmann und trinke mir vorher einen an, um dessen Träume und Imaginationen von der Puppe Olympia, der femme fragile Antonia und der femme fatale Giulietta ganz undistanziert miterleben zu können.
Wer Hoffmanns Erzählungen mag, der kommt in München sicherlich auf seine Kosten. Nicht nur die beiden Stars singen und spielen schön und überzeugend. Auch alle anderen Rollen sind, wie es dem Niveau des Hauses entspricht, glänzend besetzt. Die Inszenierung macht nicht viel her. Sie setzt halt die Phantasien oder vielleicht auch das Delirium eines versoffenen Literaten handwerklich gekonnt in Szene: den Olympia Akt als Puppentheater beim Kindergeburtstag, den Antonia Akt als schauerromantisches Kabinett, den Giulietta Akt als Edelbordell für betuchte Bürger. Und für alle, die immer noch nicht kapiert haben, dass der Literat Hoffmann sich im Labyrinth der von ihm erschaffenen Figuren verirrt hat, für den lässt sie im Finale alle Figuren vor dem von seiner eigenen Literatur berauschten Hoffmann und vor dem von Musik und Spiel berauschten Münchner Publikum noch einmal auftreten. Aus der Literatur gibt’s halt kein Entrinnen. Oder Hoffmanns Erzählungen als Endlosschleife – und die Musik ist halt so schön.
Wir sahen die Vorstellung am 25. November 2011. Die Premiere war am 31. Oktober 2011.