„Wahn, Wahn! Überall Wahn!“ Oder vielleicht doch nur eine dürftige Regiekonzeption? Die Meistersinger von Nürnberg am Staatstheater Nürnberg
Dem berühmten und von mir hoch geschätzten Theatermacher Mouchtar-Samorai ist, so vermute ich, in Nürnberg ein Missgeschick widerfahren. Ach, so gerne hätte er wieder einmal den Sommernachtstraum inszeniert und noch dazu mit nicht minderer großer Lust einer Revue mit dem Arbeitstitel „Straßenfest bei der Fußballweltmeisterschaft“ in Szene setzen wollen. Doch in Nürnberg hat man ihn zu den Meistersingern verpflichtet
und vielleicht eine Butzenscheiben Idylle oder, wenn es ganz schlimm kommen sollte, eine Reichsparteitagssatire von ihm erwartet. Erwartungen, die der Meister nicht erfüllen wollte. Er hat sich einfach seinen Sommernachtstraum und das Projekt mit der Fußballrevue nicht ausreden lassen und beides Wagners etwas schwerblütiger ‚Komödie für Musik’ aufgepfropft. Entstanden ist dabei kein „Flieder so mild, so stark und voll“, sondern Kraut- und Rübensalat. Kein Zweifel. Es ein hübscher Einfall, im zweiten Akt Ballettelevinnen mit Fliederzweigen in den Händen als Elfen herumhüpfen zu lassen und Knaben und Jungmannen als Kobolde zu verkleiden, sie Purzelbäume schlagen zu lassen und in der so genannten Prügelszene die Kobolde kräftig mitmischen zu lassen. Einer trägt sogar einen Eselskopf (das ist doch wohl der verzauberte Handwerker?), und ein anderer darf zum Schlussakkord dem Nachtwächter einen Schlag auf ein empfindliches Körperteil versetzen. (Das war doch wohl der böse Puck?) Und wer jetzt noch immer nicht kapiert hat, dass wir uns jetzt im Sommernachtstraum mit Wagner Sound befinden, den erleuchtet Shakespeare selber: im Finale leuchtet hell das allbekannte Shakespeare Porträt vom Bühnenhintergrund. Überdetermination oder einfacher: Holzhammermethode nennt man dieses Verfahren. Ja, warum soll man bei einer Meistersinger Inszenierung nicht auch auf Analogien zum Sommernachtstraum, auf ‚intertextuelle Referenzen’, wie man heute vornehm sagt, verweisen. Wagners Handwerker, die die Poeten spielen, erinnern doch auch, wenngleich sie bei weitem nicht über deren komödiantisches Potential verfügen, an Shakespeares Handwerker, die Schauspieler sein wollen. Doch die Grundthematik der Haupthandlung ist doch bei Shakespeare und Wagner gänzlich verschieden – dort die Verwirrung der Gefühle bis an den Rand des Irreseins, hier zwei Paare, die in keinem Augenblick an sich zweifeln. Auf all diese gewaltsamen Analogien und Referenzen verzichtet die Regie im großen Finale. Hier ist sie nicht mehr krampfhaft bemüht, ’sofisticated’ zu sein. Hier ist sie einfach nur platt. Auf der Festwiese treffen sich die Fußballfans, gekleidet in die Nationalfarben, und zum großen Gaudi gibt’s noch einen Eurovision Songcontest. Und da singt nicht Lena aus Hannover, sondern ein groß gewachsener blonder Hüne – „dem war der Schnabel hold gewachsen“ […] und „gar wohl gefiel er doch Hans Sachsen“ und der Fangemeinde auf der Bühne und auch uns da unten im Saale nicht minder. Doch als dieser Herr Sachs, als wir schon mittendrin im Feiern waren, noch unbedingt ein Preislied auf die deutsche Kunst singen wollte, da sind die Fußballfans auf der Bühne gleich nach Hause gegangen, haben den eben noch Gefeierten einfach stehengelassen und Europafahnen geschwungen. Nun ja, wir sind alle gute und brave Europäer – auch wir im Publikum. Das brauchen Sie uns, sehr verehrter Herr Mouchtar-Samorai, doch nicht mit dem Holzhammer beizubringen.
Das Staatstheater in Nürnberg verfügt über ein Ensemble herausragender Sänger. Wie schade, dass diese in den Meistersingern in einer, um es ganz vorsichtig zu sagen, verunglückten Inszenierung singen und agieren müssen. Wir sahen die Aufführung am 5. November 2011. Es war die vierte Vorstellung nach der Premiere am 15. Oktober 2011.