Die Krupp Prinzessin und der Arbeiterführer aus dem Hüttenwerk – eine unmögliche Liebe. Willy Decker inszeniert Tristan und Isolde in der Jahrhunderthalle Bochum

Die Krupp Prinzessin und der Arbeiterführer aus dem Hüttenwerk – eine unmögliche Liebe. Willy Decker inszeniert Tristan und Isolde in der Jahrhunderthalle Bochum
In den Feuilletons lobt man den Ruhrtriennale Tristan, der noch bis zum 20. September in einer ehemaligen Werkshalle der einstigen Krupp Hüttenwerke gespielt wird, im Überschwang. Kein Zweifel: Anja Kampe in der Rolle der Isolde brilliert als Sängerin und Darstellerin, und Maestro Petrenko zelebriert mit den Duisburger Philharmonikern einen oft hinreißenden und dann wieder einen gleichsam zögerlichen Wagner Klang, so als wolle er sein Publikum vor einer Überdosis an Tristan Musik bewahren. Vorsicht vor Überforderung des Publikums war wohl auch die Grundkonzeption der Regie. Die triste Werkshalle mit ihrer rechteckigen, wenn man so will: ‚scheibenförmigen’ Spielfläche, über die und hinter der sich eine gleich große Scheibe bewegen ließ, ist ja auch nicht gerade der geeignete Ort für große Opernspektakel. So entschied man sich denn auch geradezu zwangsläufig für Minimalismus pur und begnügte sich mit einer Personenregie, die die Akteure hin und wieder geradezu choreographisch platzierte (so im Finale des zweiten und dritten Akts) oder sie auch nur hektisch herumlaufen ließ (so in den ersten Szenen des ersten Akts).

Von Decker habe ich so manche geistvolle und beeindruckende Inszenierung gesehen. Doch was an diesem Abend in der Jahrhunderthalle zu sehen war, das ist sicherlich kein Jahrhundertwerk. Manches war eigentlich nur peinlich. Von den Videoeinspielungen mit ihrer einfältigen Symbolik wollen wir erst gar nicht sprechen: überflüssiges Bildmaterial, das von der Musik und vom Geschehen auf der Bühne nur ablenkte. Das große Liebesduett, zu dem Lichtergeflimmer produziert wurde, geriet geradezu zur Kitschorgie. Dass die Spielfläche in der ersten Szene des zweiten Akts immer mehr in eine gefährliche Schieflage gerät und Isolde damit immer mehr vom Wege abkommt und im Wortverstande zu einer Art La Traviata mutiert, streift in seiner platten Symbolik schon die unfreiwillige Komik. Und ein gleiches gilt für das Finale im dritten Akt. Da wird Markes Fazit – alles mausetot („Tot denn alles!) – ganz wörtlich genommen. Scheibe zwei senkt sich wie ein Deckel, wie ein Sargdeckel, auf Scheibe eins und begräbt auch die noch Lebenden. Nur Isolde – sie wird ja noch für die Liebestodszene gebraucht – liegt nicht unter dem Deckel. Sie steht als bleicher Friedhofsengel im weißen Kleid vor der Gruft und singt uns Isoldes Liebestod. Jetzt haben es wohl auch die Einfältigen im Publikum gemerkt. Eros und Thanatos (vulgo: Liebe und Tod) gehören irgendwie zusammen. „Warum eigentlich der vertrottelte Ehemann auch den Sargdeckel auf den Kopf bekommt, das habe ich nicht verstanden“ – meinte die Dame hinter mir. – Tristan und Isolde im ehemaligen Hüttenwerk der Krupps, in einer still gelegten Werkshalle. Welchen Sinn macht das eigentlich? Aber vielleicht habe ich die Konzeption auch gar nicht verstanden. Vielleicht wollte Regisseur Decker in der Werkshalle ein Requiem auf die zugrunde gegangene Krupp Dynastie inszenieren, ein Requiem auf eine uns schon ferne Industriewelt? Vielleicht wollte er mit seinen Videoeinlagen und seinen Kitsch Intermezzi das Publikum auch nur ein bisschen provozieren? Ich weiß es nicht. Wie dem auch sei. Man muss ja nicht immer im Wagnerrausch nach Hause fahren.