Kunst und Kitsch für Aficionados und Tontos
I.
Mahler Zyklus Samstag, 6. August : Das Lied von der Erde
In Salzburg, das wissen wir noch von den letzten Festspielsommern, ist es heiß und schwül, oder es regnet ohne Unterlass, oder es blitzt und donnert stundenlang. Heuer erlebten wir Variante eins und drei. In Salzburg, auch dies kennen wir von den letzten Sommern, kommen sich Kunst und Kitsch, absolute Hochkultur und triviale Peinlichkeit manchmal gefährlich nahe. In Salzburg treffen sich alle auf engstem Raum: die versnobten Kunstsinnigen, die Dekadenten, die Verzückten, die Gelangweilten, die Ignoranten, die Arroganten, die vergreisten Modepuppen nebst Anhängsel, die Enthusiasten aus Japan und die Luxusrentner aus europäischen und amerikanischen LandenSchwere Kost für alle am späten Abend im Großen Festsielhaus: „Das Lied von der Erde“ mit seiner Melancholie und Todestraurigkeit. Wie ein Ausnahmesänger wie Christian Gerhaher Mahler gestaltet, wie er im Finale die Töne geradezu nur noch haucht und sie gleichsam im Nichts verklingen und ‚verlöschen’ lässt, das ist zweifellos Hochkultur und manieristische Kunst in Vollendung, das ist ergreifend und faszinierend. Und doch ist mir bei all dem mit einem Mal ein ketzerischer, ein höchst peinlicher Gedanke gekommen. Von der Kunst zum Kitsch ist es vielleicht auch bei Mahler nur ein Schritt? Die Kenner werden der Dilettantin das Sakrileg gnädig verzeihen.
II
Die Frau ohne Schatten am 21. August im Großen Festspielhaus. Studioaufnahme, Albträume, ‚Szenen einer Ehe’ und ‚rauschhafte’ Klänge.
Kein Zweifel. Hier stimmt alles: ein hochberühmter Dirigent, ein hochberühmtes Orchester, Sänger der Spitzenklasse, ein hochberühmter Regisseur, eine höchst anspruchsvolle Inszenierung, ein aufmerksames Publikum. Und doch – so will es mir scheinen – fällt ein Schatten auf dieses Hochamt der Kunst, das die Herren Thielemann und Loy da im großen Festspielhaus zelebrieren. Anders ausgedrückt: Irgendetwas stimmt nicht. Kein Zweifel: perfekter und schöner, einschmeichelnder und berauschender lässt sich Strauss wohl nicht spielen. Und doch hat mich dieser Strauss, der da an einem glühend heißen Sommerabend in Salzburg zu hören war, nicht so fasziniert wie der Strauss, den vor knapp zwei Jahren Maestro Welser-Möst in seiner Zürcher Interpretation der Frau ohne Schatten erklingen ließ. In Salzburg war alles so schön, so kalt schön, so spätdekadent schön. Vielleicht hat dieses vage Gefühl der Unstimmigkeit, dem ich mich in Salzburg nur schwer entziehen konnte, auch gar nichts mit dem musikalischen Part zu tun und bezieht sich ausschließlich auf die Inszenierung. Ich weiß es nicht. Regisseur Loy traut offensichtlich dem Hofmannsthal Libretto nicht so recht: dieser Melange aus orientalischem Zaubermärchen, Proletarieridylle, diesem so schwer verdaulichem Quark aus Impotenz- und Mutterschaftskomplexen, Menschheitsrettungsgehabe, spießig reaktionärem Frauenbild und pseudobarockem Duktus. So hat er denn das Hofmannsthalsche Libretto auf seine Grundstruktur reduziert, das ursprüngliche Erzählmaterial ganz gestrichen und das Textbuch mit eigenem Erzählmaterial wieder aufgefüllt. Ort der Handlung ist nicht mehr wie einstens beim seligen Hofmannsthal ein imaginäres Kaiserreich „der südöstlichen Inseln“, sondern ein Aufnahmestudio für Schallplattenaufnahmen: konkret die Sofiensäle in Wien, in denen Die Frau ohne Schatten gerade aufgenommen wird und in dem die beteiligten Sänger nicht nur ihren Part abliefern, sondern auch ihre ganz persönlichen Defizite, die sich, o Wunder, mit ihren Rollen decken, zur Schau stellen: der arrogante amerikanische Tenor als „Kaiser“, die verhuschte junge Frau aus dem Wiener Bürgertum, die Sopranistin, die sich ihren Träumen hingibt, als „Kaiserin“, die altjüngferliche intrigante Mezzosopranistin als „Amme“, das seit langem liierte streitsüchtige Sängerpaar mittleren Alters, das es auch im Studio nicht lassen kann, seine internen Kräche und Zwistigkeiten handfest auszutragen (bei Hofmannsthal „Barak der Färber“ und sein Weib“). Kein Zweifel: eine geistvolle Grundkonzeption: dieses Spiel auf zwei Ebenen, dieses Ineinander-Übergehen von der scheinbaren Realität des Aufnahmestudios in die von der Struktur des Librettos her vorgegeben Handlungsschemata. Hinzu kommen noch eine dritte und vierte Ebene: die Imaginationen und Traumwelten der jungen Sängerin, die sich in ihre Rolle geradezu hineinträumt und noch dazu die Örtlichkeit der Sofiensäle mit ihrer Gegenwart als Gastronomiebetrieb und ihrer Geschichte als Sammlungsort der für die Deportation Bestimmten. Natürlich will die Regie auch von Hofmannsthals Apotheose der „Ungeborenen“ nichts wissen. Im Schlussbild da treffen sich alle Mitwirkenden im festlich geschmückten Saal wieder – zum Weihnachtskonzert mit den Wiener Sängerknaben und ersparen uns, wenn schon nicht die Peinlichkeiten der Hofmannsthalschen Phrasen, dann doch zumindest dessen kitschige szenische Vorgaben: („ […] der Tempel klingend löst sich auf und wird goldstrahlende Landschaft […]“. – Die Frau ohne Schatten mit der Musik von Richard Strauss und dem Libretto von Christof Loy, der in Personalunion gleich die Regie mit übernommen hat, das ist sicherlich ein Ereignis. Und doch bleibt ein Gefühl des Unbehagens zurück. Erinnert diese Inszenierung nicht doch an die berüchtigte Kategorie: „Fortsetzung des Programmhefts mit anderen Mitteln“ (Stadelmeier)? Müsste eine Inszenierung nicht aus sich heraus verständlich sein, auch ohne dass man die Gebrauchsanweisung (hier: „eine persönliche Inhaltsangabe von Christof Loy“) gelesen und ohne dass man zuvor das erläuternde Gespräch zwischen dem Regisseur und seinem Dramaturgen studiert hat? Wie dem auch sei. Einen festspielgemäßen großen Opernabend bot diese Frau ohne Schatten alle Male.
III
Wiederaufnahmen und Konzerte
Und dann gab es noch eine Neuausgabe von Così fan tutte im Haus für Mozart. Claus Guth hatte seine kalte Designer Così, die wir vor zwei Jahren schon gesehen hatten (und zu der wir in unserem Blog auch schon ein paar Anmerkungen geschrieben haben) noch einmal überarbeitet. Und macht es auch mit einmal Sinn, dass der Wald (klassisches Symbol der Verirrung, des Abenteuers und der ‚Sünde’) gleichsam in das Haus (klassisches Symbol der Geborgenheit) hineinwächst und die scheinbar so ‚treuen’ Damen im Wald herumtollen, bevor und während sie sich auf die neuen Liebesspiele einlassen. Dass in dieser Aufführung unter der Leitung von Marc Minkowski brillant gesungen und musiziert wurde, das bedarf eigentlich keiner besonderen Erwähnung. Und zum Abschluss des diesjährigen Festivals haben wir gleichsam traditionsgemäß die Berliner Philharmoniker unter Simon Rattle gehört. Wenn dieses Orchester Mahler und Bruckner spielt, dann merkt auch der musikalische Laie, dass hier das Feinste vom Feinsten in höchster Perfektion geboten wird.