Theatermacher Homoki kennt seinen Bachtin seit vielen Jahren: seit seiner Zauberflöte in Köln, seit seinen Königskindern in München, seit…, ich weiß nicht seit wie vielen Jahren. Und stets weiß er die Bachtinschen Kategorien von der Karnevalisierung der Literatur – vor allem die vom „grotesken Leib“ hat es ihm angetan – brillant und unterhaltsam in Szene zu setzen. So jetzt auch in Berlin. Seine Meistersinger mit ihren unförmigen Leibern scheinen geradezu geklonte Wilhelm Busch Figuren zu sein. Und das Nürnberger Volk könnte durchaus ein rheinischer Karnevalsverein auf Betriebsausflug sein. Der verständnisvolle Edelproletarier Hans Sachs mit seinem Schnurrbärtchen, seiner Schusterschürze, seinem Proletenkäppi ist wohl dem Museum für Handwerker Karikaturen entlaufen und hätte auch auf einem Karnevalswagen hereingefahren werden können. Doch das hätte das Publikum wohl zu sehr irritiert. Im Vergleich mit den Nürnberger Singern sind der Junker von Stolzing in seinem Military Look und Eva in ihrem braven Glockenröckchen geradezu wohlwollende Karikaturen. All das, was sich da auf der Bühne tummelt, das ist alles sehr hübsch anzusehen, ist unterhaltsam und provoziert in keinem Augenblick. Und man braucht auch noch nie etwas von Bachtin und seinen Karnevalskategorien gehört zu haben, um an dieser Karnevalskomödie, zu der Theatermacher Homoki Wagners Meistersinger hindreht, nicht seinen Spaß zu haben. Zwar kennt unser berühmter Theatermacher und hoch gehandelte Intendant außer dem von ihm so sehr verinnerlichten Bachtin auch die auf allen Bühnen längst üblichen Metatheater Klischees. Doch auch wir im Publikum kennen diese Gags bis zum Überdruss, und sie beginnen uns zu langweilen: die bis zu den Brandmauern offene Bühne, die stets sichtbaren Theatermaschinen, die Kulissen, die herbei geschoben werden, die Signale, die dem Publikum auf diese Weise vermittelt werden: Achtung! Wir spielen Theater. Alles sind nur Illusionen, die nichts mit der ‚Welt da draußen’ zu tun haben. Theater ereignet sich allein in Euren Köpfen, in Euren Imaginationen. Diese Pseudobelehrungen, die wohl von fern an einen Dramatiker aus der Nachbarschaft erinnern sollen, das ist doch Schnee vom vergangenen Jahr. Sie zitieren, sehr geehrter Herr Intendant, in Ihrem Programmheft mit feiner, mit unfreiwilliger(?) Ironie Wagners bekanntes Diktum: „Kinder! Macht Neues! Neues! […]“.Gilt dieser Satz nicht auch für Ihre Komische Oper? Bachtin plus Metatheater. Ist das als Konzeption nicht ein bisschen zu wenig? In Leipzig hat man Wagners Diktum ernst genommen. Dort schreibt man die Meistersinger neu, erzählt sie als die Geschichte von der Endphase einer maroden und verknöcherten Gesellschaft und ihrer Neukonstituierung als oberflächliche Spaßgesellschaft. Vielleicht schauen Sie sich einmal bei Gelegenheit die dortige Inszenierung an. Wie dem auch sei. Trotz der Einwände, die man gegen Ihre Inszenierung vorbringen könnte, hat mir der Abend in Ihrem Haus gefallen. Wie Sie die Indisposition der drei Hauptpersonen mit zwei brillant von der Seitenbühne singenden Ensemblemitgliedern und mit einem Star wie Jeffrey Dowd, der die gesamte Rolle des Stolzing von der Seitenbühne her sang, aufgefangen haben, wie dieses scheinbare Manko die Vorstellung kaum oder eigentlich gar nicht beeinträchtigte, das ist bewundernswert und spricht für die Qualität Ihres Hauses. Wir sahen die Vorstellung am 26. Dezember 2010, die laut Programmheft achte Aufführung seit der Premiere am 26. Dezember 2010.