Albträume im Labyrinth der Bilder, Texte und Manien. Calixto Bieito inszeniert Fidelio als der Gattin Nachtmäre an der Bayerischen Staatsoper
Verhalten jubelnde oder leicht irritierte Feuilletonkritiker. Kleinkarierte, ablehnende Leserbriefe im Lokalteil der Süddeutschen Zeitung. Ein bekannter Münchner Theaterkritiker, der schon vor der Premiere in einem zweispaltigen Artikel ein möglicherweise unwilliges Publikum auf die Vorzüge des ‚Regietheaters` einschwört und ihm die Angst vor dem katalanischen Enfant terrible der Opernszene zu nehmen sucht. Doch es war alles nur halb so schlimm. „Der Unterleibhaftige“ (Stadelmeier) ist in sich gekehrt, hat in München allem Sex abgeschworen, alle Gewalt eher vorsichtig unplakativ dosiert, hat Borges’ Labyrinth Fantasien für sich entdeckt, diese als den ganzen Bühnenraum ausfüllende Stahlgerüste, in denen die Akteure ihre Kletterkünste zeigen dürfen, visualisiert, hat dieses stählerne Labyrinth mit Filmszenen vor allem aus der Batman Serie aufgehellt, hat Albtraumsequenzen hinzugefügt – und doch nicht das Lachen verlernt. Das oratorienhafte Finale, eine Crux für jeden mittleren Theatermacher, stilisiert Bieito zur grotesken Filmszene, zu einem Zitat aus dem letzten Batman Film. Der Deus ex machina, bei Beethoven der rettende Minister, tritt in der Maske des Heath Ledger als Joker auf, als Schurke und Clown, schießt in Gangster Manier gleich um sich und erschreckt den armen Florestan zu Tode. Er ist – Gott sei Dank – nur ohnmächtig geworden und steht gleich wieder auf (er wird halt noch für den Jubelgesang gebraucht). So endet der Krimi vom Terrorgefängnis und vom tyrannischen Gulag Kommandanten und der tapferen listenreichen Gattin in einer Jubelgroteske. Ein Spannungsbogen, der sich von der ersten Szene an mit einem Schrei der Protagonisten aufgebaut hat, bricht im Lächerlichen zusammen. Dieser Schrei, der sich gleich an das Finale der Jubelouvertüre (Leonore III), mit der man in München beginnt, anschließt, ist das Schlüsselmotiv der gesamten Inszenierung. Das Labyrinth Motiv, so spektakulär es auch in Szene gesetzt wird, ist nur die scheinbare Dominante der Inszenierung. Der Münchner Fidelio ist eine Traumerzählung. Die Geschichte von der Rettung des Gatten, die die mittleren Theatermacher so gern als ‚realistisches’ Stück darstellen, ereignet sich in den Albtraumphantasien der Gattin, in ihren von Film und Literatur und vielleicht auch von Piranesis Kerkerphantasien bestimmten und deformierten Imaginationen. In ihrem Traum irrt sie auf der Suche nach dem Gatten durch die labyrinthischen Stahlgerüste, bekämpft, wenn sie sich den Zuneigungen des jungen Mädchens erwehrt, ihre latent lesbischen Neigungen, trifft auf Häftlinge in bürgerlichen Anzügen (kriminelle Banker, denen Aufseher Rocco die Geldköfferchen abgenommen hat?), haut wie im billigsten Slapstickfilm dem Bösewicht die Schnapsflasche auf die Birne und kippt ihm eine Ladung Benzin oder Säure auf den Kopf – ja und dann wacht der Gatte aus dem Albtraum auf, wechselt schnell vom Schlafanzug in den Zweireiher, und die Dame von den Jeans ins luftige Sommerkleid. Die Batman Fledermäuse, die drohend über dem zum zweiten Akt horizontal gedrehten Labyrinth schwebten, sind entschwunden. Und dafür schweben die Engelein herab (in Gestalt des Odeon-Quartetts) und fiedeln das Molto Adagio aus einem Beethoven Streichquartett. Und so löst sich halt der Albtraum in Wohlgefallen auf. Oder etwas weniger banal gesagt – frei nach Strindberg und frei nach Borges: im Traum ist alles möglich. Die Literatur ist doch nur ein Traum, ein konstruierter Traum („un sueno deliberado“). In dieser Traumwelt ist eben auch die unmögliche Geschichte von der tüchtigen Gattin möglich. Doch bei Licht besehen – und nicht von ungefähr bricht in die im Dämmerlicht gehaltene Bühne im Finale das Licht herein – war das alles doch nur eine Farce. “Und weiter nichts“? Ein bisschen mehr schon. Calixto Bieito hat aus dem behäbigen, spießigen Fidelio Libretto spannungsgeladenes Musiktheater gemacht, eine spektakuläre Intermedialitätsshow, ein „Gesamtkunstwerk“ im heutigen Sinn. Nur unser Beethoven ist kein Wagner. Der „Titan“ kam in München eher als Zwerg daher und hatte es schwer, sich gegen die Macht der Bilder und der (Borges)texte zu behaupten. Prima la messa in scena e poi la musica. Großes Theater mit Beethoven Sound. Wer das mag – und ich mag es – ,der kommt beim Fidelio in der Bayerischen Staatsoper auf seine Kosten. Dass brillant gesungen wurde – allen voran Anja Kampe in der Titelrolle – versteht sich in München von selber. Nach der Rusalka hat die Staatsoper in dieser Saison jetzt mit dem Fidelio ein zweites Highlight zustande gebracht. Eine erstaunliche Leistung für den oft so biederen Münchner Musentempel. Wir sahen die Vorstellung am 29. Dezember 2010. Die Premiere war am 21. Dezember 2010.