Lustvolles Schwelgen in Melancholie – und in Komik und Parodie. Der Rosenkavalier im Teatro Real.

Lustvolles Schwelgen in Melancholie – und in Komik und Parodie. Der Rosenkavalier im Teatro Real.

In Madrid, im Teatro Real, ist jetzt im Dezember eine Rarität zu sehen und zu hören. Warum sagen wir nicht gleich: zu bewundern. Wernickes einst vor vielen Jahren in Salzburg entstandener, dann in Paris nachgespielter Rosenkavalier wird im Teatro Real noch einmal neu in Szene gesetzt. Und das gleichsam Wunderbare ist, dass die Inszenierung nicht eine Spur von Patina angesetzt hat. Gleichsam – um es mit einer Spur von vielleicht zu viel Pathos zu sagen – neu entstanden ist. Wie Wernicke die latente Melancholie, die das Libretto als Leitmotiv durchzieht, mit sanfter Ironie, mit einer Fülle von leicht verfremdeten fragmentarischen Zitaten aus Malerei, Film und Theater zu brechen weiß, das ist geradezu faszinierend. Die Marschallin in ihrem eleganten Kostüm scheint geradezu  aus einem Klimt Porträt herausgetreten zu sein, und Sophie in ihrem Brautkleid ist geradewegs einem Sissy Film entstiegen, der Baron Ochs ist eine Art Hans Moser Verschnitt, Faninal ein beflissener Diener aus einer französischen Boulevard Komödie. Und wenn Octavian im zweiten Akt im weißen Frack und weißem Zylinder auftritt und auf einer vielstufigen Treppe hereingeschoben wird, dann erinnert er an den Showmaster aus einem Musical. Und im ersten Akt, da kniet er nicht auf einem Schemel vor dem Bett der Marschallin, wie es das Libretto will, sondern hockt lässig  auf einer Chaiselongue und raucht eine Zigarette.  Nach getaner Arbeit entspannt sich der Liebhaber – parodistisches Zitat eines Klischees aus französischen Liebesfilmen. Der „kleine Neger“ ist zu einer Commedia dell’arte Figur geworden: zum Harlekin, der das Spiel eröffnet, der den Showmaster begleitet und der das Spiel beschließt. „Das war halt eine Farce und weiter nichts“? Nein, das ist es nicht. Trotz all der gebrochenen Filmzitate, trotz all der komödiantischen Einlagen (die versoffenen Lerchenauer, der halb verhungerte „Sänger“, die Rosenkavalier Erscheinungen, die den armen Ochs im dritten Akt verwirren, usw., usw.), trotz des Commedia dell’arte Signals ist das Farcenhafte nur die Oberfläche, unter der sich Melancholie und Traurigkeit, Vergänglichkeit und Tod verbergen. Das Schlussbild zeigt eine herbstliche Allee. Oder vielleicht einen weiträumigen Friedhof. Die Marschallin und Faninal fahren in Kutschen davon. Das neue Liebespaar liegt regungslos am Boden. „[…] beieinand’ für alle Zeit und Ewigkeit“. Und Harlekin legt eine rote Rose auf das Paar. Kitsch? Oder endet die Komödie vom Rosenkavalier als Variante des Mythos von der Einheit von Eros und Thanatos, als Spiel von Liebe und Tod? War es das? Vielleicht.  Keine Frage, dass ein erlesenes, höchst brillantes und noch dazu spielfreudiges  Sängerensemble (Joyce DiDonato in der Titelrolle, Franz Hawlata als Ochs, Anne Schwanewilms als Marschallin) mit zum großen Erfolg beitragen. Ganz zu schweigen von Jeffrey Tates Interpretation.  Maestro Tate, dessen Deutung des Rings, die mich  mit ihren so zurückgenommenen Tempi vor ein paar Jahren in Köln beeindruckt hat, dirigiert  jetzt in Madrid einen Rosenkavalier mit einer solchen Sanftheit, mit einem solchen Piano, mit geradezu schmerzhafter Langsamkeit, mit einem solchen Auskosten der melancholischen Gestimmtheit, dass es dem nicht sonderlich disziplinierten Publikum  vor allem im Finale des ersten und des dritten Akts im Wortverstande die Sprache verschlägt und selbst meine sonst so kühle Freundin Ariadne zu Tränen gerührt ist. Ja, ich weiß, das ist alles Wiener Kitsch par excellence. Sei’s drum. Aber ein schöner Kitsch – ein Rosenkavalier, wie man ihn selten hört und sieht. Musik und Gesang, Inszenierung und Ausstattung auf höchstem Niveau. Da gibt es einfach nichts zu kritteln, denn besser und schöner und brillanter geht es wohl nicht. Wir sahen die Premiere am 3. Dezember. Weitere Vorstellungen sind noch am 9., 11., 14., 17., 19., und 22. Dezember 2010.