Keine Frage: es gibt phantastisch-schöne Bilder zu sehen, Bilder, die nicht im Geringsten auf irgendeine noch so ferne ‚reale’ Welt verweisen, Bilder, die in ihrer Abstraktheit und in ihrem Minimalismus nie von der Musik ablenken, nie Eigengewicht erlangen, bloße Zeichen sind. Da fallen keine Blitzmädels vom Himmel, da tummeln sich keine Mannequins auf dem Laufsteg, da sammeln keine Krankenschwestern die Leichen ein, da fleddern keine Frühlingsmaiden die Gefallenen, da ersticht oder erschießt kein Hunding den armen Siegmund, da gibt’s keine wilden Umarmungen und keine heißen Küsse und keinen großen Feuerzauber, da gibt es keine aufdringlichen Filmverweise und kein Metatheater. Da gibt es – ganz wie man es inzwischen von Wilson kennt – nur ein hoheitsvolles Schreiten, abgezirkelte Bewegungen, rituelle Gesten, Kostüme, die an Mönchskutten und Nonnengewänder erinnern. Keine Requisiten außer Siegfrieds Schwert und Wotans Speer. Alles Geschehen reduziert sich auf das Wesentliche, jede Regung wird zum Zeichen.
Nichts als Andeutungen. Als Liebeszeichen genügt eine Annäherung der Hände, Hände, die sich suchen, nach einander zu greifen scheinen und aufleuchten. Anders als es bei so vielen Theatermachern Gewohnheit ist, soll bei Wilson die szenische Umsetzung die musikalischen Aussage nicht verstärken oder gar visualisieren. Ganz im Gegenteil. „Wagners Musik – so erläutert Wilson seine Konzeption – ist so emotional und leidenschaftlich, dass, ich glaube, man übersetzt sie szenisch ganz nüchtern. […] Wenn das optische Element lediglich die Musik illustriert, so ist das, was man sieht, schwach, reine Dekoration. Meiner Meinung nach macht es keinen Sinn, etwas Aufgewühltes ebenso aufgewühlt oder aufwühlend wiederzugeben“. Wilsons Wagner-Regie – so versteht er selber seine Arbeiten – stehen in der Nachfolge Wieland Wagners: „Ich glaube, seine Art der Wagner-Regie kommt meiner sehr nahe“ (zitiert nach dem Zürcher Programmheft zur Walküre). Wie dem auch sei. Wilsons „formales Theater“ der Abstraktion und des Lichts fasziniert immer wieder – eben weil es Theater, Kunst, manieristische Kunst ist und weil es sich zugleich als Appell an die produktive Imagination der Zuhörer und Zuschauer versteht. Bei Wilson schreibt kein diktatorischer Theatermacher die Deutungen vor. Bei Wilson wird das Publikum dazu aufgerufen mitzudenken und mitzuträumen. Und wenn dann noch dazu wie am heutigen Nachmittag in Zürich auf höchstem Niveau gesungen und musiziert wird, dann hat das Publikum Sternstunden der Oper erlebt.
Nachtrag vom 25. 03. 09
Heute haben wir auch Wilsons Siegfried gesehen, und wie schon die Götterdämmerung und die Walküre fasziniert auch der Siegfried. Wer sich einmal an den Wilson Stil oder wenn man so will: an die Wilson Manie gewöhnt hat und ihr verfallen ist, dem sind alle Reality Shows auf der Opernbühne ein Gräuel. Endlich keine Müllhalde mehr, kein Campingplatz, keine abgewrackte Fabrikhalle, keine Kleinbürgerwohnküche, in denen ein Prolo-Sigi mit einem halb debilen Opa Mime haust, endlich kein Wotan als Altrocker und kein Siegfried als Jungrocker, endlich keine albernen Aktualisierung mehr, endlich Oper als höchst stilisiertes Kunstspiel und zugleich auch – so versteht Wilson den Ring – als „ein Märchen für Kinder“(Wilson) – für erwachsen gewordene Kinder sollte man hinzufügen.