Dass Statuen wieder lebendig werden, den Frevler heimsuchen, ihn ums Leben bringen oder ihn mit Wahnsinn schlagen oder ihn zumindest in Angst und Schrecken versetzen, das ist ein gern genutztes Motiv in der romantischen Literatur (Beispiele finden sich leicht bei Eichendorff, bei Victor Hugo, bei Bécquer). Auch dass Figuren aus ihren Gemälden heraustreten und nächtens durch ein Museum geistern ,ist ein populäres romantisches Motiv (In der Madrider Metro kann man zurzeit einen Auszug aus einem spanischen Roman lesen, in dem erzählt wird, wie Kaiser Karl V. aus dem Tizian Bild heraustritt und des Nachts durch das Prado Museum reitet). Auch auf der Opernbühne ist das Museumsmotiv nicht unbedingt neu. Die Aida lässt sich unschwer in ein ägyptisches Museum transponieren. Und für die so unzeitgemäßen Leidenschaften einer Lucia oder einer Alcina bieten sich die Museumslösungen geradezu an. Regisseur Anselm Weber kann also für seinen Museums-Rosenkavalier nicht unbedingt Originalität beanspruchen. Originell ist indes der Versuch, das Museumsmotiv als Sprungbrett für eine Komödie zu nutzen, jeden Akt in einem anderen „Saal“ spielen zu lassen, für die Wirtshausszene den Ruheraum der Museumswächter zu wählen und für das Finale wieder in einen Prunksaal des Museums zurückzukehren – und den ganzen Rosenkavalier als „illustrierten Museumsführer für Opernliebhaber“ zu verkaufen.
Da treten also im ersten Akt die Feldmarschallin und ihr Oktavian als Rokokofiguren aus den Schaukästen des Museums und beginnen ihr Spiel – nicht anders als man es von den gängigen Inszenierungen her kennt -, da erscheint das gesamte übrige Personal als dicklich-groteske Botero-Figuren, da zieht sich Museumswächter Ochs schnell eine barocke Jacke über die Uniform, setzt sich eine Perücke auf und spielt mit, und alle spielen mit ihm – ganz so wie man das aus den gängigen Inszenierungen kennt. Im zweiten Akt sind wir dann in der Abteilung: Waffenkammer und Industriemuseum. So treten denn Herr Faninal und sein Töchterchen nebst Haushälterin aus dem Schaukasten „Fabrikhalle“, und aus den herumstehenden Hellebarden kann sich Oktavian beim Streit mit Ochs gleich bedienen. Überhaupt der zweite Akt: dank eines überragenden Franz Hawlata in der Rolle des Ochs, der sein komödiantisches Talent bis zum Exzess ausspielen darf, gerät dieser Akt zum großen Gaudi, zur überschäumenden Komödie, die manchmal der Klamotte gefährlich nahe kommt. Und das gleiche gilt für den ersten Teil des dritten Akts: da stürzt sich eine ausgelassene, überdrehte Schar von grotesken Boterofiguren auf den schlafenden, auf den träumenden Museumswächter Ochs. Und ganz wie es dem romantischen Schema von den lebendig gewordenen Kunstfiguren entspricht, treiben sie ihr böses Spiel mit Ochs, und zum Finale, in der berühmten Taschentuchszene, da sperren sie ihn in einen Glaskasten des Museums ein, während die Putzfrau das Taschentuch aufhebt und beim Anblick des eingesperrten Ochs entsetzt davon läuft. Ein Versuch, die turbulente Komödie, den Spießertraum vom Mitmischenwollen bei den Großen zu konterkarieren und den Baron Ochs und nicht die ach so melancholische, ach so edle, ach so entsagungsvolle Frau Fürstin zur Hauptgestalt zu machen? Ganz wie es zunächst von Strauss geplant. war. Das Museumsmotiv und seine populärromantischen Komponenten mit einer derben Komödie und mit dem Traumdiskurs zu verbinden, das ist sicher eine schöne und einsichtige Konzeption. Wenn diese dann auch noch gekonnt und überzeugend in Szene gesetzt und wenn dann noch dazu ansprechend gesungen und musiziert wird, ja dann kann man eigentlich nicht mehr erwarten. Oder vielleicht doch? Das Haus rühmt sich immerhin, die silberne Rose gewonnen zu haben, sprich: von einem einschlägigen Hochglanzmagazin zur „Oper und zum Orchester des Jahres“ gekürt worden zu sein. Bei aller Hochachtung vor den Künstlern in Essen. Ich hätte die silberne Rose dem Badischen Staatstheater in Karlsruhe zugesprochen.
Wir sahen die Wiederaufnahme einer Produktion vom Jahre 2004 (die Premiere war am 20. November 2004).