Um es gleich vorweg zu sagen: in Zürich ist ein grandioser Tristan zu hören und zu sehen. Ein Tristan, wie man ihn sich kaum besser vorstellen kann. Auf der Bühne singen und agieren überragende Sängerschauspieler, Stars, wie sie sie vielleicht Wagner im Sinn hatte, als er sich für sein Werk „wunderbar geniale Darsteller“ erträumte. Und das Orchester unter dem Dirigenten Ingo Metzmacher steht den Sängern nicht nach, zelebriert die Sehnsuchtsmusik, dieses „unstillbares Verlangen“, das nur im Tod „Erlösung“ findet, diese Sehnsucht und dieses Untergehen, als die Wagner in einem Brief an Mathilde Wesendonck seine Tristanmusik beschreibt (Brief vom 19. Dezember 1859, vgl. Zürcher Programmheft). Doch reden wir nicht von der musikalischen Gestaltung. Das mögen die kundigen Musikkritiker tun. Ich bin nur eine Dilettantin, eine begeisterte Dilettantin, die die Tristan Musik schon so viele Male gehört hat und die doch noch immer gern deren „hypnotischer Wirkung“ nachgibt und die vom Zürcher Tristan fasziniert ist. Dies gilt nicht nur für den musikalischen Part, sondern nicht minder auch für die Inszenierung, für die Claus Guth verantwortlich zeichnet. Ganz anders als bei seinen Salzburger Mozart/Da Ponte Inszenierungen, die man – freundlich gesprochen – als dürftig, wenn nicht gar (so zumindest seinen Don Giovanni) als peinlich erlebt hat, weiß Regisseur Guth in Zürich zu brillieren. Natürlich ist die Grundidee der Inszenierung, die äußere Handlung aus einem fernen, unbestimmten Mittelalter in die Entstehungszeit der Oper zu transponieren nicht unbedingt originell.
Transponierungen eines fiktiven, fernen Geschehens in die Entstehungszeit des jeweiligen Werkes sind, wie man zu Genüge weiß, ein gern genutztes Instrumentarium des Regiehandwerks. Doch das Geschehen an den Ort zu verlegen, in dem ein Gutteil des Tristans entstand – in die Zürcher Villa des Großkaufmanns Wesendonck – und den Mythos von Tristan und Isolde als Variante der heimlichen, der verbotenen Liebe zwischen Mathilde Wesendonck und Wagner neu zu erzählen und diesen ebendort in der großbürgerlichen Villa mit ihrem eleganten Boudoir, ihrem schwülen Wintergarten, ihren großzügigen Salons und Empfangsräumen in Szene zu setzen, das ist eine berückende und zugleich stringente Grundkonzeption. In dieser Villa mit ihren Zimmerfluchten – die geschickt genutzte Drehbühne schafft immer wieder neue Schauplätze (und voyeuristische Einblicke) – ist es nicht mehr die höfische Gesellschaft eines König Marke, sondern eine großbürgerliche Zürcher Gesellschaft, die zum Hochzeitsfest geladen ist und unter deren wachsam misstrauischen, neidisch missgünstigen Blicken das heimliche, von Sehnsucht gequälte Paar herumirrt und zueinander finden möchte. In diesem Kontext gelingen der Regie in einer hochartifiziellen Personenführung immer wieder beeindruckende, faszinierende, ja warum sagen wir nicht gleich wieder: berückende Bilder und Szenen. Da wartet Isolde im Hochzeitskleid vor den Türen des Festsaals auf Tristan, da öffnen sich die Türen des Saals, und das Paar findet sich inmitten der Partygesellschaft, und die Liebenden haben – ganz wie es den Schemata der romantischen Liebe entspricht – keinen Blick für die Außenstehenden, sehen nur sich selber, können und wollen die Anderen gar nicht bemerken. Da singen sie das berühmte Duett vor den Türen des Festsaals und als sie vor dem Spion und Zuträger Melot – eine Art Butlerfigur – flüchten, da geraten sie gleich in einen anderen Festsaal, in dem Marke (alias Otto Wesendonck) mit seinen Kollegen und Freunden, an einer langen Tafel sitzt, nicht um zu speisen, sondern um Gericht zu halten. Und ganz entsprechend werden die Angeklagten an die Kopfenden der Tafel platziert. Trotz dieser Bilderfülle gerät der Zürcher Tristan nie in Gefahr, zum bloß das Geschehen illustrierenden Bilderreigen zu degenerieren. Die Bilder erfüllen eine Funktion: sie transponieren die innere Handlung, konkretisieren die Wünsche und Visionen der Protagonisten. Das „zeltartige Gemach auf dem Vorderdeck eines Seeschiffs“, wie es das Libretto verlangt, ist in Zürich zum Boudoir geworden, in dem – am Tag ihrer Hochzeit mit Marke – Isolde Tristan erwartet, und den Todes/Liebestrank nimmt man im angrenzenden Wintergarten, im Treibhaus, dem von allen Dekadenten so geliebten Ort, im, wenn man so will, „Garten der Lüste“. Vielleicht noch besser gelungen ist das Konzept der Visualisierung inneren Geschehens im dritten Akt. Hier wird alle Handlung zu Wahnvorstellungen, zu Fieberphantasien eines Moribunden. Im Wahn wandelt sich für Tristan die großbürgerliche Villa zu einem abbröckelnden Palast, aus dem er vertrieben wurde und vor deren Tor er zusammen mit dem Freunde Kurwenal als Penner hockt, im Wahn durchschreitet er noch einmal die Zimmer der Villa, im Wahn glaubt er sich mit Isolde in deren Boudoir, im Wahn legt er sich zum Sterben auf die Festtafel, auf den Platz, auf dem die Liebenden vergeblich ihre Liebes- und Todessehnsucht zu stillen suchten.
Beim Zürcher Tristan könnte man ins Schwärmen geraten. Hier in Zürich stimmt einfach alles, fügt sich alles zu einer perfekten Aufführung: die musikalische wie die szenische Umsetzung und vor allem die brillanten Sängerdarsteller: Nina Stemme, Michelle Breedt, Ian Storey, Matti Salminen.
Den Zürcher Tristan darf der Wagnerianer nicht versäumen.
Die Premiere war am 10. Dezember 2008. Wir sahen die Vorstellung vom 10. Januar 2009.