Die Wiener Götterdämmerung lässt den Zuschauer zunächst ratlos. Sind die Nornen, die da im düstern Nebel inmitten von verkrüppelten Tännchen herumirren, die Hexen aus dem Macbeth, die anders als bei Shakespeare nicht mehr die Zukunft verkünden, sondern nur noch vom Vergangenen erzählen? Ist die Brünnhilde der ersten Szene eine heidnische Priesterin, die einen toten Siegfried (er liegt – ganz eingehüllt in eine Art Kokon – auf einer Grabplatte) noch einmal ins Leben zaubert, auf dass er ihr seine und ihre Geschichte noch einmal vorspiele? Ein versteckter Hinweis auf die Priesterin Morgaine und Die Nebel von Avalon? Ist Brünnhilds unzugänglicher Felsen vielleicht die Insel Avalon? Ruht im Finale der tote Siegfried auf einem Schiff, weil Brünnhilde/Morgaine mit ihrem Siegfried/Artus in die Nebel von Avalon entschwinden wird? Oder sind wir vielleicht bei Böcklin und seiner Fahrt zur Toteninsel? Ist der kahlköpfige bleiche Hagen in seiner schwarzen Gewandung ein Mephisto/Gründgens Verschnitt? Verweisen die schwarz gekleideten „Mannen“ mit ihren flachen Helmen und den hoch gereckten Lanzen auf einen Mittelalter Kostümfilm, vielleicht auf Szenen aus einer Verfilmung der Nebel von Avalon? Zitiert die Szene Hagen und die „Mannen“ vielleicht einen Bildausschnitt aus Breughels Bethlehemschem Kindermord (der Offizier, der inmitten seiner Leute das mörderische Treiben beobachtet). Versinken Gunter und seine Leute nach dem Mord an Siegfried zusammen mit diesem in der Unterwelt, in Dantes Inferno? Und wird dabei der Trauermarsch zum Einzugmarsch in die Hölle?
Bilder über Bilder, die auf Literatur, Film und Malerei verweisen und die doch in all ihrer Zeichenhaftigkeit nie aufdringlich wirken, nur Assoziation evozieren, die nie von der Musik ablenken, einem kaum rauschhaften, eher einem, wenn man das so sagen darf, ‚intellektuellen’ Wagner. In Wien präsentiert man keinen Wagner, der mit seiner „Sinnlichkeit“ „den Geist mürbe und müde macht“. Hier hat Nietzsches böses Diktum: „Wagner wirkt wie ein fortgesetzter Gebrauch von Alkohol“ keine Gültigkeit. In Wien wird unter der Leitung von Maestro Welser-Möst einfach nur schön musiziert und (in fast allen Rollen) schön gesungen. Hier ist Wagner im positiven Sinne „ dieser alte Zauberer“ als den ihn Nietzsche einst abwerten wollte. In Wien wird kaum in der Musik, hier wird in Bildern geschwelgt, auf jeglichen Metatheaterehrgeiz verzichtet und aufgesetzter politischer oder gesellschaftlicher Impetus verschmäht. In Wien erzählen Welser-Möst und Bechtolf den Mythos von Göttern, Heroen und Menschen, von deren Konflikten, deren Untergang und möglicher Wiederkehr als ein Märchen für Erwachsene, die im Märchen die Antimärchenzüge und die intermedialen Verweise erkennen mögen.
Ein konventioneller Wagnerabend oder wenn man es ein wenig böswillig sagen will: ein bedächtiger, ein betulicher Wagnerabend, der kein Risiko eingeht, der das Publikum nicht emotional oder gar intellektuell überfordert und der so richtig zur k. und k. Behäbigkeit der Wiener Staatsoper passt. Dem Kaiser hätte es wohl gefallen.
Wir sahen „die vierte Aufführung in dieser Inszenierung“. Die Premiere war am 8. Dezember 2008.