28. 12. 08 Passions-Musik in Neubayreuth und Altbayreuth – Die Walküre in Karlsruhe

Einen rauschhaften Wagner, die Wagnerdroge, die es in Wien vergeblich suchte, die ihm dort ein zurückhaltender Maestro versagte, die findet das Publikum in Karlsruhe. Unter der Leitung ihres neuen Generalmusikdirektors Justin Brown spielt dort die Badische Staatskapelle vom ersten Takt an einen so fulminanten, so temperamentvollen und dann auch wieder einen so lyrischen erotisierenden Wagner, dass…., Ja, ich weiß, das ist alles so ‚dekadent’. „Wagner ist ein Verführer großen Stils“. „Wagners Kunst ist krank“. „Seine Musik hypnotisiert.“ „Wagner ist schlimm für die Jünglinge; er ist verhängnisvoll für das Weib“. Seine weiblichen Figuren, seine „Heroinen“ ähneln „samt und sonders, sobald man nur erst den heroischen Balg abgestreift hat, zum Verwechseln Madame Bovary“. Wir kennen die Verdikte oder auch die Beschimpfungen, die einstens Nietzsche, der sich einen der „korruptesten Wagnerianer“ nannte, gegen Wagner richtete. Und doch kann man sich, mag man die Mythen, die er wiedererzählt und in Musik setzt, auch für noch so abgegriffen halten, die Musik schon so viele Male gehört haben, kann man sich ihrer ‚dekadenten’ und ‚hypnotischen’ Wirkung nicht entziehen, und vor allem dann nicht, wenn diese so brillant und zugleich so verführerisch präsentiert wird, wie das in Karlsruhe geschieht. Und wenn dann noch dazu in allen Rollen herausragende Sängerschauspieler auf der Bühne stehen, dann erlebt man einen geradezu perfekten Wagnerabend, an dem es nichts zu kritteln und zu mäkeln gibt. Im Badischen Staatstheater sind es nicht nur das Orchester und die Sänger, die einen ungewöhnlich brillanten Wagnerabend gleichsam kreieren. Hier trägt auch ein intelligentes und kundiges Inszenierungsteam zum Erfolg des Abends bei. Eine Regie, die kein antiquiertes Ausstattungstheater in Szene setzt, eine Regie, die in ihrem Minimalismus Neubayreuth zitiert – einzige Requisiten im ersten Akt sind ein kleiner Glasofen und das dramaturgisch notwendige Schwert – und die im Kontrast dazu in den gezielt altertumelnden Kostümen der Walküren und der Fricka Altbayreuth evoziert und die frühe Wagner Rezeption karikiert und parodiert. Da treten Brünnhilde und ebenso die Walkürenschar tatsächlich mit Schild und Speer und einer helmartigen Turmfrisur auf, so als ob sie gerade von einer altgermanischen Wagneraufführung hereingestolpert kämen. Und wiederum im Kontrast zu diesem anachronistischen Auftritt ist die Bühne im dritten Akt beinahe eine Neubayreuther runde Scheibe. Zur Schlussszene der Walküre fallen weiße Segel auf die Schlafende. Ein schwarzes Segel hatte schon Siegmunds Tod signalisiert, und hinter dem Segel – nur als Schattenriss für die Geliebte und Schwester sichtbar – ficht dieser seinen letzten Kampf. Verweist das schwarze Segel zugleich auf Tristan und Isolde: auf Tristans Tod und seine vergebliche Liebe? Signalisiert das weiße Segel vielleicht das Kommen Siegfrieds und das neue Erwachen der Liebe? Oder ist das Motiv des Segels ein Bayreuth Zitat? Vielleicht ein Zitat aus Heiner Müllers Tristan Inszenierung? Ist der abgebrochne metallische Turm, in dem Wotan residiert, auch ein Zitat? Vielleicht ein Verweis auf das Turmmotiv in Flimms Bayreuther Ring? Ich weiß es nicht. Ob man nun die Verweise erkennt oder auch nicht, all dies ist letztlich nicht so wichtig und nicht so bedeutsam. Die Bilder besitzen, auch ohne dass man ihr Verweisungspotential aufdecken muss, genügend Eigenmacht und verstärken nur die Wagnerdroge.
In Karlsruhe ist eine grandiose Walküre zu hören und zu sehen. Was manchmal in mittleren Häusern geleistet wird, ist einfach bewundernswert.
Die Premiere war am 29. Oktober 2005. Wir sahen die Wiederaufnahme der Produktion am 28. Dezember 2008.