21.10. 08
Mit dem Fidelio tut sich die Zürcher Oper schwer. Wohl ein Jahrzehnt lang stand eine lieblos und schnoddrig hingeworfene Regiearbeit eines überbeschäftigten renommierten Theatermachers auf dem Spielplan. Jetzt zu Beginn der neuen Spielzeit hat man die Neuinszenierung des Fidelio einer nicht minder renommierten Schauspielerin und Regisseurin überlassen. Und das Ergebnis ist dasselbe. Nein, das Desaster ist noch größer. Zwar kommen Inszenierung und Ausstattung mit einem hohen, einem intermedialen Anspruch daher: zur Ouvertüre projiziert man Ausschnitte aus Piranesis Carceri auf den Vorhang, und Florestans Kerker mit seinen Treppen und Grotten evoziert ein weiters Mal Piranesi. Doch diese Bildzitate bleiben funktionslos und haben keinen Bezug zur Handlung. Die Kleinbürgeridylle des ersten Aufzugs spielt im Gefängnishof eines Faschisten- oder auch eines Stasigefängnisses, vielleicht auch im Innenhof einer Festung aus dem 19. Jahrhundert, und selbstverständlich wird der Kontrast zwischen der Idylle um den Kerkermeister und sein verliebtes Töchterchen und dem Hochsicherheitstrakt, in dem die Gefangenen gehalten werden, genussvoll ausgespielt. Anders ausgedrückt: die Klischees der Spieloper im Lortzing Stil werden zitiert und vielleicht auch parodiert. Vielleicht ist auch die Parodie die Grundkonzeption der Inszenierung. Zumindest der Auftritt des Bösewichts, der im weißen Anzug und Sonnenhut die Karikatur eines Mafiosoboss gibt, könnte eine solche Deutung nahe legen.
Oder will die Regie nicht auf die Parodie, sondern auf ein Konglomerat von Klischees hinaus? die verliebte Wäscherin (als solche tritt Marzelline auf), der verschmähte ängstliche Liebhaber, der brutale, rachsüchtige Mafioso, der aufgescheuchte Hühnerhaufen der Häftlinge, der Gefangene, der ganz realistisch angekettet ist und der zu seiner Arie mit der Kette klimpern kann, der elegante jugendliche Minister im Frack, Fidelio in der Maske des Edelproletariers, die konventionellen Operngesten, das Singen von der Rampe usw. all dies weist in diese Richtung. Oder habe ich die Grundidee der Inszenierung nicht erfasst? Oder gab es vielleicht gar keine? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass, wenn unter Maestro Haitink nicht so hervorragend und so faszinierend musiziert worden wäre, wenn nicht zum Zwischenakt eine so brillante Leonoren Ouvertüre gespielt worden wäre, das dann das Regiedesaster unerträglich geworden wäre. Natürlich ist für die Regie nicht leicht, eine Spieloper mit einer tragischen Oper in ‚Einklang’ zu bringen. Schon der alte Beethoven hatte seine Schwierigkeiten mit diesem Opus. Aber zumindest hätte man in Zürich doch den Versuch machen können, sich vom Billig-Konventionellen zu lösen und die alte Geschichte von Tyrannenmacht und Zivilcourage neu zu erzählen. So bleibt der Eindruck, dass man im Opernhaus Zürich die große Chance, einen neuen Fidelio auf die Bühne zu bringen, dank einer konzeptionslosen und mitunter recht hilflosen Regie verspielt hat. „Allein, was tut’s“. Es ist halt nicht jeder Regisseur wie ein gewisser Hamlet „von des Gedankens Blässe angekränkelt“. Der Zürcher Fidelio ist kein Flop, nur eine Enttäuschung. Er bleibt – abgesehen vom musikalischen Part – erheblich unter den Möglichkeiten des Hauses
Wir sahen die dritte Vorstellung der Produktion.