14. 11. 08
Seien wir tolerant und freundlich und versagen wir uns alle Häme. Wenn ein mittelgroßes Haus wie die Oper Frankfurt am Main einen Star im Doppelpack (die Lucia sang die Gattin des berühmten Mannes) für mehrere Donizetti Abende engagiert, dann garantiert sie ihrem Publikum, wenn dies Schmelz und Schmalz liebt, Belcanto auf hohem Niveau. Doch Geld, um noch dazu einen Regiestar und einen renommierten Ausstatter ans Haus zu holen, ist dann nicht mehr da. Statt sich in dieser Situation für eine konzertant aufgeführte Lucia zu entscheiden, präsentiert die Frankfurter Oper zum Belcanto eine gänzlich misslungene Billigproduktion: Schmelz und Schund gleich nebeneinander. Doch seien wir nicht so streng. Wenn man einen nachmittäglichen Spaziergang durch das nahe Bankenviertel gemacht und die dortige Verelendung gesehen hat, dann versteht man nur zu gut, dass die Frankfurter Oper für Regie und Ausstattung kein Geld übrig hat. Manchmal geht es indes auch ohne Geld – wie unlängst noch Christof Loy in seiner Frankfurter Così fan tutte gezeigt hat. Doch ohne ein wenig Kunstverstand (mit Verlaub: ich sage nicht Genie, sondern Kunstverstand) und ohne etwas mehr als ein Minimum an handwerklichen Fähigkeiten geht es einfach nicht.
Auch bis ins ferne Elsass, in dem laut Programmheft unser Regisseur wirkt, müsste sich eigentlich herumgesprochen haben, dass Arien nicht mehr wie in den seligen Zeiten unserer Urgroßmütter von der Rampe geschmettert werden, sondern dass sie ‚gespielt’ und Szene gesetzt werden müssen und dies auch dann, wenn der Starsänger nur über begrenztes Spieltalent verfügt. Das Spiel besteht nicht darin, dass der Star – so im berühmten Finale – steif an der Rampe steht, hin und wieder triste den Kopf an das Gemäuer einer Kirche(?) lehnt, Theaterblut verspritzt und sich auf den Rücken legt. Liebestodfinale als (unfreiwillige?) Opernparodie? War das gemeint? Das Spiel besteht auch nicht darin, dass zur Wahnsinnsarie die arme Lucia im rot befleckten Unterkleidchen die Treppe rauf und runter rutscht (ein zaghafter Hinweis auf die Leiter als Coitus Symbol bei Freud?) und für ein paar Takte auch schon mal hinter dem Treppenpfosten verschwindet. Die Wahnsinnsszene der Lucia ist kein Entjungferungsgejammer, sondern die Klage einer Verstörten und Zerstörten, die Arie einer Schwester der Ophelia. Ach, es lohnt nicht, über die Inszenierung weiter zu reden. Es bleibt der fatale Eindruck, dass man in Frankfurt wohl nicht einen Augenblick darüber nachgedacht hat, was eine romantische Oper ist und wie diese funktioniert. In Frankfurt hat man die romantische Oper noch nicht einmal parodiert und noch nicht einmal erledigt. In Frankfurt hat man einfach nichts begriffen. „Dass es da mehrere Tote gibt, das war doch von Anfang an klar, oder? Na ja, im Tod sind sie halt vereint“. So fasste nach der Vorstellung beim Anstehen vor den Garderobentischen eine hübsch bebrillte Dame mittleren Alters den Lucia Abend zusammen. Nein, es war nicht die bekannte hessische Dame mit dem so schön klingenden Namen. „Die hat jetzt keine Zeit“.
Wir sahen die 7. Vorstellung. Die Premiere war am 26. Oktober 2008.