Laudate Dominum? – mit Einschränkungen
Auch ein großer Maestro wie unser so renommierter Mozart-Zelebrant kann schon mal einen schlechten Tag haben und seine Fans enttäuschen. Ein geistliches Konzert sollte es zum Auftakt der Mozartwoche sein, das in seinem ersten Teil dem Psalmendichter David und im zweiten Teil dem reuigen Sünder David gewidmet sei. Dies teilte der Maestro, noch bevor die erste Note gespielt wurde, seinem Publikum höchst persönlich mit. Sicherlich ein gut gemeinter Hinweis bei einem Konzert mit den Vesperae solemnes de Confessore […], aus denen jeder im Publikum das Laudate Dominum schon viele Male gehört hatte, und der Kantate Davide penitente. Ich darf mich in aller Bescheidenheit zum Fanclub des berühmten Maestro zählen und bewundere seine subtilen Mozart-, Schubert oder Schumann- Interpretationen, wie sie in Salzburg oder in Zürich so viele Male zu hören waren. Aber an diesem Salzburger Abend, verehrter Maestro, hat Ihre Mozartinterpretation zumindest im ersten Teil wenig zum „Lobe Gottes“ beigetragen und noch dazu, was vielleicht nicht ganz so schlimm ist, ihr Publikum gelangweilt. Selbst auf die Gefahr hin, mich eines Sakrilegs gegenüber dem Salzburger und Zürcher Hausgott schuldig zu machen: was da – zumindest im ersten Teil – zu hören war, das klang alles so müd und matt, so heruntergespielt: eben Musik für die Salzburger Luxusseniorenresidenz. Allein, was tut’s. Ihre – in der Mehrzahl greisen (?) – Verehrer werden Sie immer bejubeln. Ganz gleich, was und wie sie musizieren lassen, wenngleich die Riege der offensichtlich gut situierten älteren Damen, die vor mir saßen, sich vor allem für die Bekleidung der Chorsängerinnen interessierte und diese „scheußlich“ fand. Für mich, die ich extra nach Salzburg gefahren war, um wieder einmal live Harnoncourt und sein seliges Adagio zu hören, war das Eröffnungskonzert ein verlorener Abend.
Ganz anders klingt Mozart, wenn Ivor Bolton dirigiert. Am 25. Jänner spielte das Mozarteum Orchester Haydn- und Mozartsymphonien und noch dazu das Klavierkonzert B-Dur. Zwischen dem Harnoncourt- und dem Bolton-Mozart liegen, wenn man die beiden Konzerte vergleicht, Welten. Hier Power, Wucht, Temperament, dort von allem das Gegenteil. Beim Harnoncourt -Mozart schlummert das Publikum vor sich hin. Beim Bolton -Mozart werden selbst die müden Greise im Publikum wieder wach und vergessen sogar das ewige Hüsteln.
Einen völlig veränderten Harnoncourt erlebte man eine halbe Woche später beim Konzert mit den Wiener Philharmonikern. Jetzt interpretiert unser Maestro Mozarts B-Dur Symphonie und Haydns Harmoniemesse. Und jetzt ist mit einem Male alles Müde, alle Debolezza, alle scheinbare Süßigkeit verschwunden, und es erklingt ein kraftvoller, ein temperamentvoller Mozart….
Wie seltsam. Als ob es zwei Harnoncourt gäbe: den Sanften, den Zurückhaltenden, der schon mal Langeweile produziert und den Kraftvollen, den Temperamentvollen, der mit einem solchen Vigore musizieren lassen kann, als wolle er den ganzen Saal wach rütteln.
Wie schön und wie bewundernswert, verehrter Maestro, dass Sie noch immer so faszinierend für die „happy few“ im Publikum, die konzentriert zuhören wollen, Mozart und Haydn interpretieren.
Und allem wohnt ein Zauber inne – ein Minkowski Konzert im Haus für Mozart
Vielleicht hat meine Freundin Ariadne mit diesem romantischen Zitat die Sache auf den Punkt gebracht. Minkowski und seine Musiciens du Louvre Grenoble wissen in der Tat ihr Publikum zu verzaubern. Minkowski ist für mich der Magier unter den Dirigenten, dem in scheinbarer Leichtigkeit einfach alles gelingt. Sei es nun Händel in Zürich oder Mozart und Haydn in Salzburg. Was er präsentiert, um noch einmal meine begeisterte Freundin zu zitieren, „das ist einfach sinnlich, da ist das Leben. Da schreiten wir nicht wie beim großen Harnoncourt ehrfurchtsvoll durch ein glanzvolles Mozart-Mausoleum oder durch ein perfekt gestyltes Haydn-Museum. Bei Minkowski da werden die Geister der Vergangenheit wieder lebendig, da klingt schon so oft Gehörtes wie die Arie des Aminta oder die zweite Arie der Contessa so, als höre man sie zum ersten Mal. Und selten Gehörtes wie Haydns Konzert für Cembalo und Orchester beeindruckt vom ersten Takt an. Nicht zuletzt hat Minkowski Witz und Selbstironie, Eigenschaften, mit denen er auch scheinbar sich dahin ziehende Salzburger Gebrauchsmusik wie die Posthorn Serenade zum Ereignis zu machen weiß. Und noch etwas. Minkowski ist generös – gegenüber seinen Musikern und gegenüber seinem Publikum. Beifall nimmt er nur inmitten seiner Musiker entgegen und wenn dem Publikum etwas besonders gefällt, dann gibt es halt ein Dacapo (wie bei der Arie der Contessa, die Malin Hartelius, die Zürcher Contessa, natürlich brillant sang), oder man spielt eine Zugabe. In Salzburg war es eine Passage aus der Haffner Serenade, die noch dazu dem ersten Violinistin der Musiciens du Louvre Gelegenheit zu einem großen Auftritt gab. Ein bezaubernder Abend im Haus für Mozart.
Mozart, Haydn und die Dekadenten
Für viele Zugereiste war sicher das Konzert mit Simon Rattle und den Wiener Philharmonikern der Höhepunkt der Mozartwoche. Und wenn dann noch dazu die Kozená, die als „krank“ angekündigt wurde, gleichsam in der Rolle der „femme fragile“ Mahlers Rückert Lieder vortrug und ihre Rolle so verinnerlichte, als sei sie in der Tat „der Welt abhanden gekommen“ und lebte allein in ihrem Liede noch und wenn der Maestro so dirigierte, als versänke er genussvoll in der Musik und wenn dann noch dazu die Wiener Philharmoniker sich geradezu in einen Mozart- und Haydn-Rausch steigerten, ja dann hatten unsere k. und k. Luxusrentner, unsere so generös versorgten deutschen Politikpensionäre, unsere amerikanischen und französischen und japanischen Reisegruppen, die das Auditorium füllten, ein wahrhaft perfektes Konzert gehört und Hochkultur erlebt, wie sie kaum besser geboten werden kann.
Schade nur, dass es in Salzburg ein in großen Teilen so undiszipliniertes Publikum gibt. Warum, so frage ich mich manchmal, geht man ins Konzert, wenn man doch nur mit dem Programmheft rascheln oder seine Hustenallergien pflegen will und sich, hat man endlich das Ganze überstanden, unter Einsatz von Schultern und Ellbogen um Mantel, Hut und Stock drängeln muss.
Konzertbesucher in Salzburg. Ich fahre trotzdem nächstes Jahr wieder hin, und sei es nur wegen der Schokoladentorte beim Sacher.