Sie singt und spielt schon ‚wahnsinnig‘ schön. Das ist Belcanto, wie er kaum exquisiter sein kann, Belcanto in Perfektion, Bellini Melodien, wie sie schon die Zeitgenossen gerühmt haben, wie sie schon die Zeitgenossen ‚verrückt‘ gemacht haben. Eine ‚Verrücktheit‘, die auch so manchem Besucher im Frankfurter Opernhaus widerfuhr: die einen waren zu Tränen gerührt, andere, so zwei in die Jahre gekommenen Jünglinge hinter mir, konnten sich beim Schlussapplaus gar nicht mehr beruhigen. Sie erlebten wohl gerade den berüchtigten ‚Orgasmus in der Opernloge‘. Von den Gefahren und Gelüsten, die den Melomanen bei Bellini drohen, weiß selbstverständlich die Frankfurter Dramaturgie, wenn sie mit ironischem Augenzwinkern gleich auf dem Deckblatt ihres Programmhefts einen einstmals berühmten Kritiker zitiert: „Jemand, der aus einer Aufführung von Norma kommt und nicht bis zum Überfließen erfüllt ist von den letzten Seiten dieses Aktes, weiß nicht, was Musik ist!“ (Alfred Einstein).
Doch wir wollen nicht mit den Feuilleton-Lyrikern wetteifern. Sagen wir einfach, wie Elza van den Heever die ganze Palette der Gefühle von der Verliebtheit über den Schmerz, die Trauer und die Resignation bis hin zur Rachsucht und Raserei, zum Verzeihen und der vermeintlichen Erlösung von aller Wirrnis im Tode gestaltet und singt, das ist einfach bewundernswert. Wir hatten das Glück, einen Star des Belcanto und eine große Tragödin auf der Opernbühne zu erleben.
Und wenn auch die Rolle der Adalgisa, der Novizin in der Liebe und Rivalin wider Willen, mit Gaelle Arquez grandios besetzt ist und der Tenor (Stefano La Colla) mit den beiden Damen durchaus mithält und die Klischees des Machos und Latin Lovers zu vermeiden vermag, ja dann können sich die Melomanen im siebten Himmel glauben und einen Bellini-Abend der absoluten Spitzenklasse erleben.
Bei Bellini und nicht minder bei Donizetti, so wird gern erzählt, brauche man eigentlich nur drei oder vier herausragende Sänger, und alles liefe wie von selber. Das mag ja so sein. Doch wenn wie jetzt in Frankfurt zum exquisiten Ensemble noch eine exquisite Regiekonzeption hinzukommt, die (fast) auf alles Spektakuläre und alle Gags verzichtet, die konsequent auf Minimalismus und Personenregie setzt, die sich ganz in den Dienst der Musik stellt und damit noch die Wirkung der Musik verstärkt, dann kommen nicht nur die Melomanen, sondern auch die Fans des Musiktheaters auf ihre Kosten.
Christof Loy will von Priestern und Göttern geweihten Jungfrauen, von Kämpfern und Kämpfen im einstigen Gallien, von denen das Libretto erzählt, nichts wissen. Er bewahrt nur die Grundstruktur der Handlung: Resistance im Untergrund gegen eine Besatzungsmacht und geheime Kollaboration zwischen der Kultfigur der Resistance und einem hohen Offizier der Besatzungsmacht, eine Kollaboration auf der Basis einer Passion, die dabei ist zu zerbrechen. Einheitsbühnenbild ist ein geschlossener Raum – die Symbolik ist überdeutlich – ,der zugleich Versammlungsort der Resistance Leute als auch der kammerspielartige Ort ist, in dem die Protagonisten ihre Liebe, ihre Raserei, ihre Verzweiflung erfahren und erleiden. Als Dekor genügen ein Tisch und ein Dutzend Stühle. Nichts soll die Konzentration auf das innere Geschehen, auf die Seelenqualen der Protagonisten stören. Nichts lenkt von der Musik ab – bis auf die letzte Szene. Die in den Wahn getriebene oder dem Wahn verfallene Norma sprengt den ganzen Laden in die Luft: die Resistance Leute, den untreuen Gatten, die Rivalin und sich selber. „Omnia vincit Amor […]“ – eine etwas makabre Variante eines berühmten Diktums.
Wir besuchten die Aufführung am 17. Juni 2018, die dritte Vorstellung in dieser Inszenierung. Die Premiere war am 10. Juni 2018.