Letzte Tage in der Psychiatrie. David Marton inszeniert Don Giovanni im Opernhaus in Lyon

Bei Marton ist nicht Giovanni, sondern Leporello die Hauptfigur. Sein Leporello ist ein junger Mann aus der Welt von Gestern, ein Opernfan, der mit seiner Plattensammlung herumspielt und sich eine Don Giovanni Inszenierung zusammenfantasiert – mit sich selber in der Rolle des mit Giovanni befreundeten Leporello. Nur ist dieser Leporello, wie ihn Theatermacher Marton versteht, kein Theatermacher. Und entsprechend gerät ihm einiges durcheinander.
Dabei ist die Grundkonzeption, wenngleich sie inzwischen recht abgegriffen ist, zunächst durchaus vielversprechend: im Hospital, in einer Art Betonbunker, spielen die Irren und Arzt und Krankenschwestern gleich mit die Oper Don Giovanni.
In diesem Ambiente verwundert es nicht, das Don Giovanni weder Verführer noch Rebell, sondern ein abgewrackter junger Mann ist, den die Irren und die Krankenschwestern umsorgen und der auf seinem Himmelbett nach jeder Anstrengung – und das Singen strengt ihn in der Tat an – in Ohnmacht fällt. Anstaltsarzt Masetto und Krankenschwester Zerlina, wenn sie nicht gerade mit ihrer Beziehungskiste beschäftigt sind, sorgen sich um den Blutdruck des Patienten.
Der Arme hat es in dieser Inszenierung auch so richtig schwer. Nicht nur dass Donna Anna in der Person der Eleonora Buratto ihn geradezu an die Wand singt. Auch in ihrer Rolle als Giovanni gänzlich verfallene Frau dominiert sie die Szene. Die hochschwangere Elvira kann da nicht mithalten, mag sie Gianni auch noch  so sehr bemuttern. Immerhin bleibt ihr der drahtige Leporello, der ihr zur Catalogo Szene in seinem Musikzimmer seine – nein, nicht seine Briefmarken- , sondern seine Schallplattensammlung zeigt.
Don Ottavio gefällt sich in seiner zweiten Arie als gefeierter Popsänger. Bei der musikalisch leicht verunglückten Dalla sua pace Arie stiehlt im die Regie noch dazu die Show. Während Ottavio Anna den Seelenfrieden bringen will, empfängt diese ( im Traum?) Gianni in ihrem Himmelbett und  entschwindet anschließend mit ihm in den dunklen Hallen des Hospiz. So hat denn die Regie so nebenbei das alte Problem („Hat sie was mit ihm gehabt?“) gelöst.
Den Komtur mit seiner mächtigen Stimme sehen wir nicht auf der Szene. Er dröhnt nur aus dem Off. Das Ende von Martons ( und Leporellos ) Regiearbeit ist banal. Der Kranke schneidet sich zum Entsetzen seines Freundes Leporello einfach die Pulsadern auf. Und das war‘s dann.
So haben wir denn in Lyon, in einem eigentlich renommierten Haus, eine den Mythos degradierende und banalisierende Variante des Don Juan gesehen. Eine Variante, die sich zwei ineinander übergehende Regiekonzeptionen zu Nutze macht: Theater auf dem Theater im Irrenhaus, angereichert mit Fragmenten aus dem Traumdiskurs und mit französisch gesprochenen Monologen aus einem deutschsprachigen Roman ( laut Programmheft handelt es sich um Thomas Melle, Die Welt im Rücken). Diese Monologe, vor allem der unsäglich lange, den Giovanni nach der „Deh, vieni alla finestra“ Szene vorträgt, sorgten für ein gewisses Missbehagen im Publikum, das Mozart hören wollte und nicht Passagen von einem Lieblingsautor des Regisseurs. Zum Missvergnügen trug nicht zuletzt auch bei, dass von wenigen Ausnahmen abgesehen weder auf der Szene noch im Graben unbedingt Hochleistungen geboten wurden. Zum Ausgleich durfte man sich an zwei (unfreiwilligen?) Regiegags erfreuen. Das sich wild abknutschende Paar in der Reihe hinter mir war wohl ein populäres Double von Zerlina und Masetto, des gänzlich a-erotischen Paares, das auf der Bühne agierte. Maestro Stefano Montanari in seinem Rocker Outfit hätte man den Don Giovanni sofort abgenommen. Vielleicht springt er demnächst einfach auf die Bühne und rettet die Aufführung aus Lethargie und Langeweile.
Wir besuchten die Vorstellung am 7. Juli 2018.