Im Rossini Jahr – vor 150 Jahren verstarb der Komponist in Paris – sollte man keine Grand Opéra und keine Buffa des Maestro versäumen. Im Theater der Wien sahen und hörten wir zu Beginn der Spielzeit Guillaume Tell – in einer in Musik und Szene herausragenden Produktion, und jetzt waren wir in Amsterdam beim Barbiere di Siviglia, einem so berühmten und so viele tausend Male aufgeführten Melodramma buffo, wo man eigentlich nichts falsch machen kann.
In Amsterdam hat man eine besondere Leistung vollbracht.
Hier hat man so ziemlich alles falsch gemacht, was man falsch machen kann. Gleich zur Ouvertüre geht es los. Statt die Ouvertüre, die jeder Opernbesucher kennt, mit Schwung und Schmiss und Ironie zu präsentieren, hat man sie als Soundtrack für ein Kinderballett ‚missbraucht‘. Zur Ouvertüre lässt der reiche Doktor Bartolo vor seinem ‚Stadtpalais‘ als Geburtstagsüberraschung für Klein-Rosina tanzende Leckermäulchen (oder sind es Sahnehäubchen?) auftreten. Sicherlich ein hübscher Gag für einen Kindergeburtstag – für die Rossini Fans eine ärgerliche und von der Musik ablenkende Einlage.
Theatermacherin de Beer glaubt wohl nicht so recht an den Witz, die Ironie, die Wirkungsmacht der Musik und versucht, diese immer wieder zu stören oder sie als Begleitmusik für Klamotten Gags zu nutzen, mit einem Wort, sie zur quantité négligeable herab zu setzen. Nur zwei Beispiele: im ersten Finale genügt es der Regie nicht, das Erstaunen und Erstarren, das die Handelnden angesichts des sonderbaren Geschehens erfasst, in Szene zu setzen. Nein, damit so richtig auf der Bühne etwas los ist, muss eine ganze Meute von Statisten in Kostümen des späten 18. Jahrhunderts dem Doktor Bartolo das Haus ausrauben
Wir ahnen schon, worauf das Ganze hinaus will. Lotte de Beer hätte lieber eine der fernen Vorlagen für Rossinis Buffa inszeniert: Beaumarchais, La précaution inutile ou le Barbier de Séville und diesen gerne so richtig triefend ‚fortschrittlich‘ zum Vorläufer der großen Revolution gemacht. Ersatzweise muss Rossinis Il Barbiere di Siviglia einspringen und diesem die Revolution angehängt werden. Und so kommt’s denn auch. Im zweiten Finale bricht die Revolution aus. Der Conte kriegt nicht Rosina, und Rosina nicht den Conte. Die Arme steht in ihrem Puppenkleidchen hilflos dazwischen, während die Revolutionäre dem Conte schon mal das Totengerippe, in das sie ihn bald verwandeln werden, vor die Nase halten. Jetzt verstehen wir auch, warum der Conte d‘Almaviva von Anfang an als hässlicher Tölpel präsentiert wurde. Er ist halt ein Aristokrat und solche Typen wird die Revolution erledigen. Als Kollateralschaden geht noch das Haus des reichen Bürgers Bartolo in Flammen auf. Fürwahr ein spektakulärer Schluss für eine Buffa.
So haben wir denn in Amsterdam ein Lehrstück darüber gesehen, wie man Rossini veralbern und verblöden, zur Puppenstuben- und Legoland-Posse und zur Klamotte reduzieren kann, wie man durch sinnlosen Aktivismus, überflüssige Massenauftritte von der Musik ablenkt und durch szenische Witzeleien den Witz der Rossini Musik zerstören möchte.
Ich gehe gerne ins Amsterdamer Musiktheater, eines der besten Opernhäuser, die ich kenne. Doch dieses Mal war die Reise nach Amsterdam eine herbe Enttäuschung. Der Amsterdamer Barbiere di Siviglia ist ein großer, ein ärgerlicher Flop.