Das Feuilleton jubelt und schwelgt in schiefen Lyrismen. Wenn Kirill Petrenko in München am Pult steht, dann ist in den Gazetten nur noch Jubel angesagt und im Saale kritiklose Begeisterung. Und das gilt auch für den Puccini Abend. Alles klingt so wunderschön, so wundersüß. Ein Puccini Piano, ein Pianissimo, wie man es in dieser Vollendung vielleicht noch nie gehört hat.
Und doch bleibt im Mittelstück, in der Suor Angelica, ein Unbehagen, dem man sich nur schwer entziehen kann. Sind da vor allem im Finale bei der Sehnsucht nach dem Kind, bei dem Irrglauben, dieses Kind als Engel im Himmel wieder zu finden, bei diesem Selbstmord, der in Verzweiflung endet, sind da die Grenzen zum süßen Kitsch alla Madame Butterfly nicht gefährlich nahe? Oder will das Orchester mit seinem sanften Schwelgen im Piano, das geradezu im Pianissimo verhallt, den bei Puccini schon immanenten Kitsch besonders exzessiv herausstellen? Soll an die Rührseligkeit der Zuhörer appelliert werden? Will man, dass des Mitleids ‚Tränen fließen‘? „Zu viel! Zu viel!“
Man verstehe mich nicht falsch. An diesem Puccini Abend wird exzellent musiziert, wird in allen Rollen brillant gesungen. Hier sind, um nur zwei Namen zu nennen, Ermonela Jaho als leidende Suor Angelica und Eva-Maria Westbrock als frustrierte und sexhungrige Giorgetta in Stimme und Bühnenerscheinung unübertreffbar. All dies ist Opernkulinarik in Vollendung. Kulinarik allerdings, die für meinen Geschmack etwas zu zuckrig zubereitet wird. Troppo zuccherato.
Vielleicht wollte die Regie, für die Lotte de Beer verantwortlich zeichnet, gegen das allzu Zuckrige einen Gegenpol setzen, wenn sie das Geschehen in ein Inferno verlegt – überdeutlich in Il tabarro, vorsichtig angedeutet in Suor Angelica, als Komödie ad absurdum geführt im Gianni Schicchi.
Alles beginnt mit einer Beerdigungszeremonie. Aus der Düsternis lösen sich die Protagonisten und finden sich in einem geschlossenen Raum wieder, der sich im Hintergrund in Dunkelheit und Nebelschwaden verliert. Michele, Giorgetta, Luigi sind Untote, und wie Dantes Gestalten in der Divina Commedia erleben sie noch einmal in gesteigerter Form die Höhepunkte ihres Lebens: den Tod des Kindes, die Trauer und Verzweiflung des alternden Mannes, die Frustration und Sexgier der jungen Ehefrau, die naive Passion des Liebhabers, den Mord und das für ewig Aneinander-Gekettet-Sein des Ehepaars – symbolisiert im Mantel, der den Ermordeten bedeckt und in den sich das Paar einhüllt. Ewig sind sie mit dem Anblick des Toten konfrontiert, der, unerreichbar für sie, in der Höhe sich im Kreise dreht. Eine Variante zu Dantes Inferno.
Auch aus dem Kloster, in das Suor Angelica eingesperrt ist, gibt es kein Entrinnen. Hier herrscht nicht Dantes Höllenfinsternis. Hier sind wir in einer Hölle alla Sartre. Die Hölle sind hier frei nach Sartre ‚die Anderen‘, die Mitschwestern und die Verwandte, die Angelica vernichten und in den Selbstmord treiben.
Und im letzten Stück da ist mit der Hölle auch das Zuckrige verschwunden (natürlich mit Ausnahme der Arietta der Lauretta: „O mio babbino caro“). Da spielen wir Komödie in Kostümen des Trecento. Da ist alles nur noch Theater oder auch schon Klamotte. Die Hölle ist nur noch ein Zitat, ein Scherz, über den sich der Betrüger Gianni Schicchi nur amüsiert. Mag sie ihm auch Dante angedroht haben.
Ein großer Opernabend im Nationaltheater in München. Musik und Szene vom Allerfeinsten. Ein Abend der Hochkultur, wie man ihn auch in München nicht sehr oft erlebt.
Wir sahen die Aufführung am 27. Dezember 2017. Die Premiere war am 17. Dezember 2017.