Im Prachtbau der gerade renovierten Staatsoper, im Luxustempel des Musiktheaters ist jeglicher Anflug von Trash verpönt. Hier feiert man ein Bühnenfest am Hofe eines Potentaten im Zeitalter des Barocks. Hier spielt die Hofgesellschaft ( vielleicht im Palazzo Ducale in Mantova?) ein Stück ihres Hofkomponisten Monteverdi . Und alle spielen mit, sind fast immer auf der Szene präsent, spielen ihre Rollen oder schauen den Spielenden zu: das Herrscherpaar, die Höflinge, Kinder und Mägde und Soldaten. Im Zentrum des allseitigen Interesses steht die Außenseiterin Poppea, die als einzige nicht höfisch gekleidet ist, im Negligé in die Welt des Hofes einbricht und dessen Welt durcheinander wirbelt. Sie alle am Hofe spielen sich selber mit ihren überbordenden Leidenschaften: mit ihrer Luxuria, ihrer Machtgeilheit, ihren Intrigen, ihrer Heuchelei, ihrer Oberflächlichkeit und stellen ihr Spiel implizit unter das Dictum: „Omnia vincit Amor, et nos cedamos Amori“. Auf der Bühne und im Graben ein brillantes Durchdeklinieren der Affekte im weitesten Sinne und der Liebesdiskurse im engeren Sinne.
Grandios Theater auf dem Theater, Tableaux Vivants in Fülle ( vielleicht unter anderem angeregt von der Camera degli Sposi im Palazzo Ducale?) präsentieren Eva-Maria Höckmayr als Regisseurin, die Kostümbildnerin Julia Rösler und der Bühnenbildner Jens Kilian. Luxustheater mit höchst brillanten Sängerschauspielern und einer Pointe im Finale, die nicht der Originalität entbehrt: die schöne Intrigantin Poppea hat mit bedingungslosem Körpereinsatz einen noch jugendlichen Nerone aus der Umklammerung seiner mütterlichen Gemahlin Ottavia und aus den Fängen des hypokriten Schwätzers Seneca befreit, ist dabei im Wortverstande über Leichen gegangen und hat die Macht als neue Herrscherin errungen. Doch ihr Sieg ist nur ein scheinbarer. Zu spät erkennt sie die bisexuelle Anlage des Herrschers. Das berühmte Girren im Finale: „O mia vita, o mi tesoro“ ist ein Abschiedsduett. Im Finale macht sich Nerone mit seinem Liebhaber, dem Literaten Lucano , davon und lässt die schwangere Poppea im Wortverstande sitzen. L‘incoronazione du Poppea wird zur dannazione di Poppea.
Bis dahin vergehen drei Stunden des manieristischen Kunstgesangs, der rituellen Bewegungen, der Galanterie und der Kunst der Verführung. Wie Poppea in der Person der als Sängerin und als Schauspielerin geradezu überwältigen Roberta Mameli mit dem gänzlich triebgesteuerten Nerone in der Person des nicht minder grandiosen Max Emanuel Cencic spielt und singt, das ist einfach Theater der Luxusklasse. Besser geht es nicht. Auch der von Poppea verschmähte und sich unwillig mit einem biederen Mädchen tröstende Ottone in der Person des Xavier Sabata weiß im Wettstreit der Countertenöre durchaus mitzuhalten.
Keine Frage, dass auch alle anderen Rollen auf hohem Niveau besetzt sind.
L‘incorazione di Poppea an der Staatsoper ist ein absoluter Highlight in der Berliner Opernszene. Und wohl nicht nur dort. War das die neue Lust an der Ästhetik und der Abschied vom maroden Trash- Theater, was wir an diesem Abend in der Staatsoper unter den Linden erlebten? Vielleicht.
Wir besuchten die Aufführung am 13. Dezember 2017, die dritte Vorstellung in dieser Inszenierung. Die Premiere war am 9. Dezember 2017.