Ein Reigen der Liebe und der Arien – Händels Serse an der Oper Frankfurt

Xerxes hatten wir zuletzt vor bald fünf Jahren in Berlin an der Komischen Oper gesehen. Als großes Barocktheater in Händels London, als Komödie voller Witz und Ironie und Parodie hatte dort Stefan Herheim  Xerxes inszeniert. Eine große Show in Gesang und Szene, prachtvolle Kostüme, aufwendiges Dekor, Bühneneffekte, die ganz im Sinne der Ästhetik des Barocks Verblüffung und Erstaunen bewirken sollten, all dies war in Berlin zu bewundern. Eben eine Show, die wie zur Zeit Händels auch heute  das Publikum anzieht.

Große Show in Orchesterklang und Gesang, brillante Stimmen, das bietet auch die Oper Frankfurt. Doch auf alle Verweise auf die Ästhetik des Barocks, auf, wenn man so will, allen barocken Tand verzichtet in Frankfurt die Regie und transferiert das Geschehen in unsere Zeit. 

 So werden denn aus Reifröcken halt Cocktailkleider. Aus weiten Überröcken und Culottes gewöhnliche  Anzüge, aus den Theatermaschinen  Videoprojektoren, die die Gesichter der Akteure in Großaufnahme zeigen. Die von Serse im berühmten Largo besungene Platane wird  zum farbenprächtigen Video auf dem Vorhang. Im Finale indes da ist aus dem Wunderbaum ein entlaubtes Bäumchen  im Wintergarten geworden. Dem im Finale so gebeutelten Serse bleibt halt nichts erspart. Da mag er in der Person der Gaëlle Arquez auch eine noch so elegante Bühnenerscheinung sein, da mag er (Pardon: sie) auch noch so wunderschön singen und in den Koloraturen brillieren, die von ihm  (Pardon ihr) so angebetete Schöne ( Romilda, die Primadonna, in de Person der Elisabeth Sutphen) mag ihn nicht und  dafür die altjüngferliche von ihm verschmähte  Amastre  umso mehr. Vom Karussell der Liebe ist  Serse, der Primouomo, schmählich herunter gefallen.

Beim Transfer  der Handlung in unsere Zeit lässt  Tilmann Köhler, der die Inszenierung verantwortet, auch alle politischen Implikationen beiseite, macht aus der opera seria, in der sich Staatsaktionen und Liebeshändel vermischten, ein Kammerspiel,  einen Reigen der Liebe, in dem die ‚ Fragments d’un discours amoureux‘, die Diskurse der Liebe wie Begehren,  Werbung,  Abwehr des Werbens, Eifersucht, Trauer, Rache, Verzicht, Streit und Versöhnung usw.  durchdekliniert, besser: in einer schier endlosen Abfolge von Rezitativen und Arien durchexerziert werden.

Die Szene ist ein opulentes Festessen, eine ‚grande bouffe‘, zu der sich alle versammelt haben: Serse, ein eleganter, androgyner junger Mann aus den besten Kreisen, Arsamene, sein vertrottelter, dümmlicher Bruder, vom Outfit her ein etwas herunter gekommener Jungrentner, der es immerhin zum Liebhaber der Romilda gebracht hat – zum Ärger des Serse, der die Schöne zum eigenen ‚Objekt der Begierde‘ auserkoren hat. Doch er müht sich vergeblich. Romilda hat in ihrer Beziehung zum Frührentner die ‚Liebe als Passion‘ entdeckt.. Zur Partygesellschaft gehören des weiteren zwei etwas benachteiligte Damen: Atalanta, die Zicke vom College, die vergeblich  der Romilda den Frührentner ausspannen will und das späte Mädchen Amastre, eine Art Donna Elvira avant la lettre, die den entsprungenen Liebhaber wieder einfangen will. 

In diesem amourösen Labyrinth verlangt das Libretto, sagen wir besser: die Versuchsanordnung nur noch, dass sie alle aufeinander  los gelassen werden und dabei ihre Rezitative und Arien und  Schauspielkünste, mit einem Wort: ihre ‚ Kunstfertigkeiten‘ sich selber, den Mitspielern und uns im Publikum präsentieren.  Und das tun sie sie über drei Stunden hinweg, zum eignen und unserem Vergnügen. 

Da rennt man über die Passerelle, da klettertet man auf die so üppig gedeckte Tafel, wirft schon mal mit Weintrauben oder auch Spagetti um sich, säuft den Champagner gleich aus der Flasche und singt und lacht, seufzt und weint – und rutscht so manches Mal haarscharf an der Klamotte und am Slapstick vorbei.

‚Allein, was tut’s‘. Das nehmen wir alles gern hin, wird doch in allen Rollen höchst brillant gesungen, agiert ein spielfreudiges Ensemble auf der Bühne, ein Ensemble, das sich nicht davor scheut, sich selber zu parodieren. Ein großer Opernabend in Frankfurt, eine  ‚Komödie für Musik‘, an der allenfalls verknöcherte Anhänger der opera seria keinen Spaß haben konnten.

Wir sahen die Aufführung am 12. Januar 2017, die zweite Vorstellung in dieser Inszenierung. Die Premiere war am 8. Januar 2017.