In Amsterdam hat man im Dezember noch einmal Pierre Audis Parsifal Inszenierung vom Jahre 2012 wieder aufgenommen. Eine Inszenierung, die zunächst befremdet und die dann im Laufe des langen Abends immer mehr fasziniert. Eine Inszenierung, die eine Variante, nein besser: gleich zwei Varianten des Parsifal Mythos anbietet und damit die alte Geschichte neu erzählt.
Spielt der erste Akt in einem halbfertigen Fort in der Wüste, im Innenhof einer Festung, wo Verschalungen, Treppen und Gerüste an rötlich schimmernden Felsen aufgehängt sind? Sind die in graue Kittel gekleideten Bewohner religiöse Fanatiker, die sich in die Festung geflüchtet haben und auf Erlösung warten? Ist diese ausgemergelte, langhaarige , nur mit einem weißen Leinentuch bekleidete Gestalt, die die Füße so eigentümlich verschränkt ( bei Wagner ein gewisser Amfortas) von ihrem ganzen Outfit her nicht eine Jesus Variante, eine Variante des Gekreuzigten? Ist die aus dem Off ertönende Stimme, die den Sohn zum erlösendem Handeln auffordert (bei Wagner ein gewisser Titurel) vielleicht die Stimme Gottes? Ist der Gral, den Jesus/ Amfortas hinter einem weißen Tuch (einem Leichentuch?) angeblich enthüllt, nichts anderes als eine Blut tropfende Lanze, die den Eingeschlossenen den Tod verkündet und nicht die Erlösung verspricht? Transponiert die Regie den Parsifal Mythos in die Christus Mythe und verbindet diese mit dem Masada Mythos, der Erzählung vom aussichtslosen und sinnlosen Kampf einer jüdischen Sekte, die im kollektiven Selbstmord endet?
Antwort auf all diese Fragen geben die Schlussszenen des dritten Aufzugs. Der erhoffte Erlöser tötet mit der heiligen Lanze den moribunden Jesus/Amfortas. Nein, dieser zieht die Lanze selber auf sich herab. Kein Gral wird enthüllt. Die schwarz gekleideten Sektierer folgen im kollektiven Selbstmord ihrem Anführer in den Tod. Die Hoffnung auf Erlösung war nur eine Chimäre. Einzig Gurnmanz, der zum weißen Oberkleid einen Mantel mit langer Schleppe trägt, überlebt und zündet ein Rauchopfer an. Wird er der Prophet und Anführer einer neuen Sekte? War alles, was war, nur ‚Schall und Rauch‘. „Alles, was ist, endet“.
War es das? Und was soll der große glitzernde Spiegel , das einzige Dekor im zweiten Aufzug? Was bedeutet die blaue Lichthöhle, das einzige Dekor im dritten Aufzug? Traumvisionen, Wahnvisionen der Eingeschlossenen? Oder vielleicht Referenz auf Neu-Bayreuth? Wie dem auch sei. Subtil und sofisticated in ihrer Konzeption und nicht minder in ihren Bildern ist diese Amsterdamer Parsifal Inszenierung alle Male.
Und der Musik Part? Maestro Marc Albrecht setzt auf das Langsame, das Getragene, das Feierliche, kostet Piano und Pianissimo geradezu exzessiv aus. Ja, wir wissen schon: Parsifal ein “ Bühnenweihefestspiel“. Doch war, frei nach Nietzsche, Wagner nicht auch ein Komödiant? Dass in Amsterdam alle Rollen höchst brillant besetzt sind, das bedarf keiner besonderen Erwähnung. Hinzuzufügen wäre nur, dass in Spiel, Gesang und Diktion Günther Groissböck als Gurnemanz das schon hochkarätige Ensemble noch überragt.
Wir sahen die Aufführung am 29. Dezember 2016, die Derniėre.