Das Libretto ist saublöd. Schaffen wir es ab. Basteln wir uns einfach ein neues und bedienen uns dabei aus irgendeinem amerikanischen Road Movie. Das ganze reichern wir mit dem üblichen Trash an und würzen es mit Altherren- Sexphantasien. Vielleicht gingen die Vorüberlegungen der Regie in diese Richtung, als sie sich entschloss, aus dem „deutschen Singspiel in drei Aufzügen“ einen Porno lirico in zwei Akten zu machen.
Die Szene, auf die ein ziemlich ausgeflippter Typ (bei Mozart ein gewisser Belmonte) in Begleitung zweier Girls mit einem Tieflader fährt, ist eine Mischung aus Sportclub, Camp zur Herstellung synthetischer Drogen und Pornoschuppen. Boss des Etablissements ist eine sportliche junge Frau mit Unterleibsproblemen („storm in my pussy“) und einem Hang zu Philosophaster. Die drei jungen Leute, die der junge Mann angeblich sucht und die von einer Art Fliegender Untertasse entführt worden sind, fühlen sich im Camp recht wohl und werden, so spekuliert die generöse Chefin im Finale, sowieso bald zurückkommen.
Die Musik können wir blöderweise nicht abschaffen. Aber zumindest können wir es den Sängerinnen und Sängern so schwer wie möglich machen, auf dass ihnen Lust und Luft abhandenkommen. Lassen wir also die Primadonna schon mal zu ihrer ersten Arie Laufübungen machen. Für den Rest des Abends stecken wir sie in schwarze Unterwäsche, und bei ihrer nächsten großen Arie lassen wir als szenisches Accompagnato ein gutes Dutzend nackter und halbnackter Girls auf der Bühne aufmarschieren und sich in Pose setzen. Wir wollen Voyeure, keine Hörer im Publikum. Im Finale erster Akt da gehen wir so richtig zur Sache. Während das Quartett irgendwas von Liebe, Treue und Eifersucht schwafelt, da treiben wir auf der Szene den Gendertrouble im ganz konkreten Sinne auf die Spitze: jeder macht’s mit jedem, und die Girls und die Glatzköpfe (bei Mozart die Haremsdamen und die Eunuchen) mischen kräftig mit.
Im Finale jagen wir wie in einem Actionfilm das ganze Camp in die Luft. Nein, umgelegt werden unsere Helden dabei nicht. Diesen Kick gönnt ihnen die Chefin nicht. Diese Langweiler, die außer Sex und Drogen und schweren Autos nichts im Sinn haben, für die alles nur leer und tot ist, verdienen diesen letzten Kick nicht. Was sie reden (der Einfachheit halber reden die gleich im amerikanischen Slang), das sind nur leere Phrasen, deren wichtigste Vokabel Fuck ist.
Aber vielleicht ist dieses In-Szene-Setzen von Oberflächlichkeit und Leere die Grundkonzeption der Regie? Vielleicht war sie gar nicht auf einen Porno lirico aus, sondern ist von einem moralischen Trieb besessen und wollte das traurige Bild heruntergekommener junger Leute zeigen? Nein, das kann nicht sein. Philiströses Gebaren und Hypokrisie wollten wir unserem Theatermacher nun doch nicht unterstellen.
Und Mozart und seine Musik? Ja, richtig, Konstanze in der Person der Kathryn Lewek singt höchst brillant. Doch diese Arien, die stören doch eigentlich nur die die Regie bei der Arbeit. Ein Vorschlag an die Intendanz: Macht’s doch beim nächsten Mal ohne Orchester und Sängerinnen und Sänger. Die Voyeure im Publikum werden es Euch danken.
Um Missverständnisse zu vermeiden: der Spezialist für Trash und Unterleib, den die Deutsche Oper Berlin als Regisseur für die neue Entführung engagiert hat, ist nicht Calixto Bieito. Bieito hat Witz und Ironie.
Wir sahen die Aufführung am 1. Juli 2016, die „5. Vorstellung seit der Premiere am 17. Juni 2016“.