Alcina eine Ibsen Tragödie. Ingo Kerkhof inszeniert Händel am Hessischen Staatstheater Wiesbaden

Alcina eine Zauber- und barocke Maschinenoper, Alcina die Ikone des Theaters, die eine Welt der Illusionen und des Scheins schafft, Alcina die Ikone der Liebe. Von all diesen ‚klassischen‘ Konnotationen der Alcina Figur, von all deren Referenzen auf Armida und Circe will in Wiesbaden die Regie nichts wissen.

Für sie ist die Alcina Oper eine bürgerliche Dreiecksgeschichte mit Maitresse,  Ehefrau und Ehemann in den Kostümen des 18. Jahrhunderts. In dieser Dreiecksgeschichte dominiert die Ehefrau, die durchtrainierte Sportlerin Bradamante, die gleich in den ersten Szenen zeigt, dass sie sich im ganz konkreten Sinne auf das Fechten spezialisiert hat. Warum sich dieses Sportsweib in den Softie Ruggiero verguckt hat und diesen unbedingt unter das Ehejoch zwingen will, wer weiß das schon so genau. Die Regie, die mit der Oper Alcina die Geschichte vom domestizierten Mann und der hyperdominanten Frau erzählen will, sie weiß es. Eine Regie, die ganz gezielt die Gewichte in der Personenkonstellation verschiebt, um die Seconda Donna zur Hauptperson zu machen, die die Figur des Ruggiero gänzlich dekonstruiert, aus dem Liebenden ein willenloses Geschöpf macht,  das sich bis hin zum Mord an der Maitresse von der Ehefrau manipulieren lässt. Bei dieser Dominanz der Rivalin hat Alcina von Anfang an schlechte Karten. Diese Alcina ist schon von der Bühnenerscheinung her eine schmächtige,sich ganz zurückhaltende Person, eine stets leidende , in Melancholie sich gefallende unglückliche Maitresse.

Bei dem Seelendrama, bei diesem Psychostück, auf das die Regie die Alcina Oper reduziert, braucht man keine Kulissen, kein Dekor. Die Regie lässt auf Treppen, vor dem eisernen Vorhang und im Schlussakt auf leerer, fast dunkler Bühne spielen, setzt ganz auf die Personenregie: eine Entscheidung, die bei der einmal gewählten Grundkonzeption nur konsequent ist.

Anders ausgedrückt: die Konzentration auf die Seelenanalyse, auf das Spielen mit den seelischen Mechanismen, der Verzicht auf jegliche Ausstattung, all dies macht die Wiesbadener Alicina geradezu zu einem Stück von Marivaux oder auch, wenn man auf den tragischen Ausgang schaut, zu einem Stück von Ibsen. Zurück bleiben hier drei zerstörte Menschen. Ein Ruggiero, der die Liebe nicht verdrängen kann, eine Bradamante, die nur einen Scheinsieg errungen hat, eine im Wortverstande zerstörte Alcina.

Nein, ganz so ist es nicht, signalisiert uns die Regieim Finale  – und kehrt damit implizit zum barocken lieto fine und zur klassischen Variante des Mythos zurück. Alcina lässt sich nicht aus der Welt schaffen. Auch in bürgerlicher Kostümierung  bleibt sie doch die Circe, die Armidia, die Ikone der Illusionen und der Liebe. Ein Mythos, der sich immer wieder neu erzählen lässt.

Doch vergessen wir nicht die Musik. In Wiesbaden wird nicht nur eine ungewöhnliche Inszenierung geboten. Hier wird auch ungewöhnlich schön gesungen. Hier brillieren in gleicher Weise Heather Engebretson als Alcina, Franziska Gottwald als Ruggiero, Silvia Hauer als Bradamante und Katharina Konradi als Morgana. Ein Fest der Stimmen. Ein großer Opernabend – im leider bei weitem nicht ausverkauften Haus.

Wir sahen die Aufführung am 21. April 2016. Die Premiere war am 9. April 2016.