Was hält die drei scheinbar so unterschiedlichen Stücke: Il tabarro, Suor Angelica, Gianni Schicchi eigentlich zusammen? – Das Leitmotiv des Todes, so die Antwort der Regie. Der Mord am Liebhaber in der scheinbar so simplen Dreiecksgeschichte, der Selbstmord der Protagonistin in der scheinbar so simplen Satire auf das Leben im Nonnenkloster, der Selbstmord des Gianni Schicchi in der scheinbar so simplen Erbschleicher Komödie. Oder ist der Tod des scheinbar so erfolgreichen Testamentsfälschers ein Unglücksfall? Oder ist Schicchi schon dem Irrsinn verfallen, der Strafe, die Dante für Fälscher vorgesehen hat? Die Regie lässt die Frage offen.
Wenn das Thema des Todes das die drei Stücke verbindende Leitmotiv ist, dann ist es nur konsequent, wenn die Regie das alte Motiv von der Seereise als Metapher für die Lebensreise aufnimmt und dieses mit dem Motiv der letzten Reise, die den Seelen bestimmt ist, verbindet: der Reise auf der Barke des Charon über den Acheron in die Unterwelt. In die Unterwelt fahren sie alle hinab: der Liebhaber, dem das Geschick des Paolo aus der Divina Commedia bestimmt ist, die Ehebrecherin Giorgetta, der das Schicksal der Francesca da Rimini droht, die um ihr Leben und um die ersehnte Seligkeit betrogene Novizin Suor Angelica, Gianni Schicchi, der sein Endgeschick schon von Dante her kennt.
Sie alle sind auf der Barke des Charon versammelt, einem Schiff, das an ein Kreuzfahrtschiff erinnert, auf dem die Besatzung aus ganz in Weiß gekleideten stummen Wächtern besteht, ein Schiff, auf dem die Toten, auch sie alle in Weiß, stumm in den Sesseln sitzen, das tote Kind der Giorgetta wie das der Angelica stumm herumgehen und ein Liebespaar sich in den Armen liegt. Sie alle warten in einer Art Vorhölle auf ihr endgültiges Geschick.
Sind die Personen, die so scheinbar real auf der Szene erscheinen, der Patrone, seine Frau Giorgetta, der Liebhaber Luigi, Suor Angelica und die Nonnen, die Familie der Erbschleicher, sind auch sie tot? Spielen sie uns Zuschauern noch einmal die letzten Höhepunkte ihres Lebens vor, so wie die Sünder in der Divina Commedia dem Zuhörer und Zuschauer Dante noch einmal ihr Leben erzählen und sich dabei in dieses Leben noch einmal hineinsteigern, sich selber überhöhen? Vielleicht. Auch diese Frage lässt die Regie offen.
Mit seinem Trittico vom Jahre 2008, das die Oper Frankfurt in dieser Saison wiederaufgenommen hat, präsentiert Claus Guth eine höchst subtile, eine intellektuelle, eine anspruchsvolle Inszenierung voller Verweise, eine Inszenierung, die, so schien es mir, einen guten Teil des Publikums überfordert. Das Publikum hat seinen Spaß an der Erbschleicher Komödie, ist betroffen vom Geschick der Novizin, von ihren frustrierten Hoffnungen und Sehnsüchten, von ihrem verzweifelten Selbstmord, nimmt das Eingangsstück für eine ‚realistische‘ Kriminalgeschichte und tut sich schwer mit den Verweisen auf den Charon Mythos und die Divina Commedia. Als ich so beiläufig zu dem neben mir sitzenden jungen Mann sagte, in Suor Angelica ginge es um Mystik und Erotik, habe ich ihn und seine Begleiterin geradezu erschreckt. Sie hätten’s halt gerne einfacher.
Und Puccini? Rührselig und kitschig – selbstverständlich auf hohem Niveau. Ein Gegensatz zu der eher intellektuellen Inszenierung? Nein, kein Gegensatz. Musik und Szene ergänzen einander, produzieren gemeinsam einen großen Opernabend. Ehe ich es vergesse: Star des Abends war Elza van den Heever als Giorgetta und Suor Angelica. Sinnlich und leidenschaftlich bei der irdischen Liebe. Sinnlich und leidenschaftlich bei der himmlischen Liebe. Einfach grandios wie sie als Sängerin und Darstellerin die beiden Seiten der Liebe in Szene zu setzen weiß.
Wir sahen die Aufführung am 28. März 2016. Die Premiere war am 13. Januar 2008.