Könnt Ihr, liebe Theatermacher, uns nicht endlich einmal mit dem ewigen Israel- Palästinenser Konflikt in Ruhe lassen, mit der in allen Medien stets präsenten Flüchtlingsthematik, mit den Gewaltexzessen des IS, mit dem breiten Leinwandgrinsen der Merkel, mit Mossad und Terroristen, mit den ewig gleichen Videoaufzeichnungen, mit all dem Aktualisierungswahn, mit dem Ihr hier im konkreten Fall der Salome die glitzernde, so schön dekadente Musik zum Soundtrack für Euer Kino auf der Opernbühne missbraucht.
Natürlich sind Dekadenz und (verlogene) Orientmode des 19. Jahrhunderts längst Schnee von gestern. Natürlich haben wir vom Mythos der Femme fatale nebst all ihren Mythemen, Varianten und gesellschaftlichen Verortungen längst genug. Und da hilft, wie uns das Stuttgarter Regieteam um Kirill Serebrennikov weismachen will, als Gegenmittel, als Gegengift nur Politisierung, schärfste Aktualisierung und intermediales Spektakel?
Nun, wer das mag, wer die Tagesschau und den anschließenden Actionfilm im Opernhaus sehen möchte, der kommt in Stuttgart auf seine Kosten. Noch bevor die Strauss Musik einsetzt, darf er schon die Abendnachrichten anschauen und den Schauplatz für den anschließenden Actionfilm inspizieren – Diensträume des israelischen Geheimdienstes, dessen Mitarbeiter auf Videoaufzeichnungen und im Fernseher Steine werfende palästinensische Jungmannen beobachten. Der „Prophet“, den „die Prinzessin Salome“ unbedingt sehen will, tritt gleich in doppelter Gestalt auf: als soignierter Herr mittleren Alters, Typus Oberkirchenrat, der den Gesangpart übernimmt und als malträtierter junger Araber, ein vom Mossad gefolterter Terrorist. Herodes ist kein pädophiler Lustgreis, sondern der junge, dynamische Boss der Geheimdienstler, der sich auf einem Empfang ein paar schöne Stunden machen will. Den vom Libretto vorgesehenen Tanz der Salome, obwohl er ihn so insistierend einfordert, braucht er gar nicht als Luststimulanz. Ihm genügen athletische junge Männer in knappen Unterhosen und ein paar junge Damen in keuscher Unterwäsche. Die Religionsgelehrten, die schon angetrunken zum Empfang erscheinen, interessieren ihn nur mäßig.
Kein Zweifel: diese Melange aus Actionfilm, Dallas und Tagespolitik ist geschickt und gekonnt angerichtet. Spannend ist es auch, was da auf der Szene und auf der Leinwand zu besichtigen ist. Dass die bei Oscar Wilde so komplexe Figur der Salome in der Inszenierung zum gelangweilten Teeny, der auf jeden Event erpicht wird, reduziert wird, das nehmen wir als verständnisvolle Opernbesucher halt so hin. Ärgerlich ist es indes, dass vor allem im ersten Teil die Regie mit ihrem ungebremsten Aktionismus immer wieder von der Musik ablenkt. Doch auch dies lässt sich bei gutem Willen verkraften. Die mehrdimensionale Szene verlangt eben ein mehrdimensionales Publikum, das eine Fülle von Bildern und Information gleichzeitig aufnehmen kann und soll. Ein Beispiel: während auf der linken Spielfläche der soignierte Oberkirchenrat die Botschaften des Jochanaan vorträgt und mit Unverständnis auf die Avancen der Salome reagiert, wird auf der Mitte der Szene der junge Araber („Jochanaans Körper“) malträtiert, sitzt Salome diesem am Kopfende eines Esstischs gegenüber, laufen die Videokameras und übertragen die Szene auf eine großformatige Leinwand. Ja, beinahe hätten wir es vergessen: aus dem Graben rauscht dazu der Soundtrack herauf.
Zum Glück für Strauss und seine Musik hat die Regie in den Schlussszenen ihre Arbeit so ziemlich eingestellt. Mit Ausnahme der Salome platziert sie alle Akteure in die hintere linke Ecke der Bühne und lässt sie dort verblödet, gelangweilt, betrunken vor sich hin starren. Prinzessin Salome darf sich ganz konventionell im kruden Realismus mit einem blutigen Kopf Arme und Bluse besudeln (Nekrophilie muss sein) und von Liebe, Tod und Ekstase singen. Und das macht sie (in der Person der Simone Schneider) höchst brillant – und rettet damit Strauss und seine Musik und Oscar Wilde und seine Ironie und lässt uns ahnen, dass wir im Musiktheater sind und nicht im Kino und nicht bei einer Politshow.
Das Publikum im Saale ist irritiert, weiß nicht, ob es nun klatschen oder buhen soll und entscheidet sich nach kurzem Zögern doch dafür, alle Mitwirkenden begeistert zu feiern – und das zu Recht.
Wir sahen die Aufführung am 13. Januar 2016, die 6. Vorstellung. Die Premiere war am 22. November 2015.
.