Szenisch missglückt. In Gesang und Orchesterklang herausragend. Götterdämmerung an der Oper Nürnberg

Jetzt haben auch die Nürnberger, wie das so abgegriffen heißt, ihren Ring zu Ende geschmiedet und verkaufen ihrem Publikum die Götterdämmerung als „viereinhalb Stunden pralles Musiktheater“. Ein seltsames Attribut, das gemeinhin auf überbordende weibliche Körperformen bezogen wird und nicht auf Wagners Musiktheater. Sei’s drum.

Das Nürnberger „pralle Musiktheater“ hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Keine Frage, dass wie schon im Rheingold, in der Walküre und im Siegfried exzellent gesungen und musiziert wird, dass Maestro Bosch auch in der Götterdämmerung auf alles Gedröhne verzichtet,  auf einen eher sanften Wagner setzt und dass in einem Haus mittlerer Größe ein Wagner Sound auf ungewöhnlich hohem Niveau geboten wird.

Ein Niveau, das die szenische Umsetzung bei weitem nicht erreicht. Theatermacher Schmiedleitner, der zuletzt den Siegfried zum Gaudi des Publikums als Posse im Trash Ambiente   stringent und konsequent in Szene gesetzt und sich mit dieser Konzeption in die Nestroy Tradition eingereiht  hatte, hat, als es um die Götterdämmerung ging, wohl alle Lust an seinem Ringprojekt verloren. Simpel ausgedrückt: ihm ist nichts mehr eingefallen. Und da ihm die Musen so offensichtlich den Kuss verweigerten, hat er wahllos in seine Theaterkiste gegriffen und alles Gerümpel, was er dort fand, auf die Szene geworfen. Die bösen Feuilletonschreiber würden jetzt wohl sagen, er habe alles, was ihm so durch die Rübe rauschte, auf die Bühne geschmissen. Und das ist in der Tat recht heterogenes Zeug: Mit Tonbändern spielende junge Damen (bei Wagner die Nornen), die akrobatisch über die Sitzreihen klettern und manch älterem Herrn Gelegenheit geben, ihnen galant die Hand zu reichen, auf dass sie gefahrlos über ihn hinweg steigen können. Siegfried in Lederhosen als bayerischer Trottel und Brünnhilde als hysterische Mittvierzigerin  in der Midlife Crisis, neureiche dümmliche Erben mit Inzestneigungen und Schreibtischtäter (bei Wagner die Gibichungen), amerikanische Seifenoper, verdreckte Umwelt, alte und neue Medien (von der Tonbandzeit bis Google und Twitter), Talkshows und Fernsehaufnahmen und, wer hätte das gedacht, auch die Flüchtlinge sind da und werden von Hagens Mannen – alle samt wohl tüchtige Banker – dranglasiert. Auf orientalisch geschminkte Statisten dürfen als Immigranten ein Schlauchboot über die Bühne tragen und sich in Demutsgeste zu Boden werfen. Zum Finale gibt’s dann noch ein paar Brocken Metatheater. Brünnhilde und die Rheintöchter steigen aus ihren Rollen und geben einer Fernsehjournalistin Interviews Auf dem groß dimensionierten eingeblendeten Twitter Account erscheinen dazu die halbdebilen Kurzkommentare der Benutzer.

Ja, warum eigentlich nicht. Der Mythos lebt bekanntlich in seinen Varianten. In Nürnberg stirbt er an einer inkongruenten, heterogegen, um nicht zu sagen stupiden Variante. Es bleibt unserem Theatermacher selbstverständlich unbenommen, seine Totgeburt Variante einem geduldigen Publikum zu servieren.  Seltsam nur, dass einem so erfahrenen und routinierten  Theatermann  wie  Georg Schmiedleitner anscheinend entfallen ist, dass das Theater –  erst recht das Musiktheater –  und die sogenannte Wirklichkeit zweierlei sind, dass sie nicht kompatibel sind, dass man das Leben draußen nicht mit dem Theater drinnen verwechseln sollte und dass die  bei ihm so beliebte Trash Manie Schnee vom vergangenen Jahr ist.

Vielleicht sollte sich Herr  Schmiedleitner vor seiner nächsten  Operninszenierung noch einmal Arbeiten seiner Kollegen Herheim, Kosky, Kriegenburg ansehen. Das würde ihn  vielleicht davor bewahren, wieder in die Realismus Falle zu tappen und noch dazu ein weiteres Mal Banalitäten aus der Medienwelt zu reproduzieren.

Schade, dass an der Oper Nürnberg eine in Orchesterklang und Gesang so ambitionierte Götterdämmerung durch szenische Dürftigkeit kontrakariert wird.

Wir sahen die Aufführung am 29. November 2015. Die Premiere war am 11.  Oktober 2015.