Theater im protestantischen Gemeindesaal oder doch ’fiktionale Wirklichkeit‘? Olivier Py inszeniert einen szenisch recht heterogenen Fliegenden Holländer in der Urfassung am Theater an der Wien

Das Programmheft liefert gleich auf der ersten Seite die Gebrauchsanweisung: „Senta, die Tochter des Kaufmanns Donald, ist tot. Sie war einem Fremden  gefolgt, den ihr Vater für sie als Bräutigam mitgebracht hatte – für ihn glaubte sie sterben zu müssen, um ihn zu erlösen. War das Wahn oder Wahrheit? Oder nur Theater?“

Die freundliche pädagogische Anleitung zum Verständnis der Inszenierung – wir spielen Theater auf dem Theater und lassen das Geschehen zwischen Traumgespinst und ‚Realität‘ oszillieren –  unterschlägt gleich zwei wesentliche Aspekte der Inszenierung. Theatermacher Py macht aus dem Fliegenden Holländer nicht nur Meta- und Traumtheater. Als Spezialist für die Grand Opéra präsentiert er noch dazu ein großes Spektakel. Und nicht genug damit. Auf all dies setzt er noch eine Art Mysterienspiel mit schwarzem Satan, blondem geflügeltem Engel und Hexensabbat nebst homoerotischen Tänzen und nackter Jungfrau. Und nicht zu vergessen: ein Prise Freud gibt es auch. Vater Donald und der Holländer sind in ihren ersten Auftritten in Kostüm und Maske nahezu identisch. Leidet die arme Senta vielleicht an einem Inzest Erlösungswahn? Mit anderen Worten: Die Regie präsentiert mit ihrem Holländer ein heterogenes Gemenge von Einfällen, ohne  eine letztlich überzeugende Grundkonzeption anzubieten, einen Bilderbogen,  bei dem jeder Zuschauer sich das heraussuchen mag, was ihn am meisten anspricht.

Schon zur Ouvertüre hat Satan in der Person des Tänzers Pavel Strasil seinen ersten Auftritt. Er darf sich am Bühnenrand (Achtung: Metatheater!) für seine Rolle schwarz schminken. In der Folge wird sich Satan immer wieder ins Geschehen einmischen, gleichsam als stummer Regisseur die Personen, allen voran den Holländer, lenken und leiten. Für den Holländer ist er das feindliche Alter Ego, auf Sentas Bett hockt er gleich dreifach als Incubus, in der Senta-Georg Szene hockt er erwartungsvoll unter der Bühne des Gemeindesaals, einer Szene, in der Georg/alias Erik eben nicht als Jäger, sondern in Kostüm und Maske eines protestantischen Vikars Senta angeblich vor dem Bösen retten will.

Doch Vikar und blonder Engel haben in der Urfassung keine Chance. In der Urfassung gibt es bekanntlich keine Erlösung. Senta geht einfach ins Wasser, geht dem Holländer nach. Im Wahn? In der ‚Wirklichkeit‘? Tritt sie im Finale, wenn sie Vikar Georg ihre blonde Perücke vor die Füße wirft, aus ihrer Rolle als Schauspielerin, die die Senta im Gemeindesaal mimt, heraus und bringt sich ‚wirklich‘ um? Hat man die Leiche der Selbstmörderin – so suggeriert es die Pantomime während der Ouvertüre – aus dem Wasser gezogen und steht jetzt als ‚betroffene‘ Trauergemeinde vor der aufbewahrten Toten? Oder ist das alles doch nur ein Spiel? Ist vielleicht die gezielte Verunsicherung des Zuschauers die Grundkonzeption der Inszenierung? Wenn dem so ist, dann  sind die Mysterienspiel Einlagen eigentlich nur überflüssige blinde Motive. Wie dem auch sei. Wer das Grand Opéra Spektakel mag – und das weiß Theatermacher Olivier Py fürwahr stets grandios in Szene zu setzen – der kommt auch bei diesem Fliegenden Holländer auf seine Kosten.

Und die Musik? Ich bin seit vielen Jahren ein Minkowski Fan und habe seine Mozart oder Gluck Interpretation immer wieder bewundert. Doch mit Verlaub gesagt, verehrter Maestro, das Wagner Gedröhne, mit dem sie einsetzen, das hat mir nicht sehr gefallen. Etwas subtiler hätte ich mir Wagner schon gewünscht.

Dass Chor und Solisten singen und spielen, wie es dem hohen Niveau des Hauses entspricht, braucht man eigentlich gar nicht zu erwähnen. Es versteht sich von selber.

Wir sahen die Aufführung am 14. November  2015, die zweite Vorstellung nach der Premiere am 12. November 2015.