Les Troyens, ein hybrides Werk, in dem sich Grand Opéra und Tragédie lyrique überlagern, sind eine Rarität auf den deutschsprachigen Bühnen. Und dies schon deswegen, weil die Oper Längen, „gefährliche Längen“, hat. Eine komplette Aufführung würde angeblich gut fünfeinhalb Stunden dauern. So verteilt man die Aufführung – so vor vier Jahren in Karlsruhe – auf zwei Abende, spielt am ersten Abend die Kassandra Tragödie und die Zerstörung Troias und am zweiten die Dido Tragödie. Oder man streicht wie jetzt in Hamburg die Oper auf gut drei Stunden zusammen und spielt beide Teile an einem Abend. Die Strichfassung haben in Hamburg nicht der Dirigent oder gar der Regisseur hergestellt. Hier hat man diese undankbare Aufgabe dem Komponisten und Berlioz-Experten Pascal Dusapin anvertraut.
Ob Berlioz bei den starken Kürzungen gut oder schlecht weg gekommen ist, darüber erlaube ich mir kein Urteil. Immerhin, so darf man wohl sagen, zerstört die Hamburger Strichfassung nicht „le luxe mélodique“ und „l’expression passionée“, die die Berlioz Musik auszeichnen und lässt dafür die „gefährlichen Längen“ – wie zum Beispiel das einst für die Grand Opéra obligatorische Ballett – weg. So meine ich die Kürzungen verstanden zu haben.
Wie dem auch sei. Ein großer Opernabend wird unter der Leitung von Maestro Nagano in Hamburg alle Male geboten. Hier singen und spielen mit Catherine Naglestad als Kassandra und Elena Zhidkova als Dido grandiose Sängerschauspielerinnen. Dass der Komponist dem Äneas nur eine undankbare Rolle zugewiesen und ihn zur Mediokrität verdammt hat und dass das Interesse primär den beiden großen Frauengestalten gilt, das merkten schon die Zeitgenossen an. Auch in der Hamburger Aufführung ist es kaum anders. Gegen die in Gesang und Spiel und Bühnenerscheinung so dominierende Dido (in der Person der Elena Zhidkova) hat es Äneas (Torsten Kerl), mag er sich auch noch so bemühen, schwer und dass er „das wild wütende Weib“ – angeblich auf Befehl der Götter und der Untoten aus Troia – flieht, das glauben wir ihm gern.
Ganz im Sinne der Musik (ich meine der Strichfassung), die auf das große Spektakel der Grand Opéra verzichtet, lässt auch die Regie (Michael Thalheimer) alles Bombastische beiseite. Die großen Chorszenen – vor allem im ersten Teil – werden geradezu als Oratorien inszeniert. Die Choristen stehen immer wieder nahezu bewegungslos an der Rampe. Erst in der Schlussszene des ersten Teils, beim kollektiven Selbstmord der trojanischen Frauen angesichts der in die Stadt eindringenden Griechen, agieren sie als Schauspieler.
Statt des großen Bühnenspektakels setzt die Regie auf Minimalismus und auf eine subtile Personenregie in den lyrischen Szenen. Ein trojanisches Pferd ist nicht zu besichtigen. Und auch alle Kampfszenen sind ausgespart. Zurückhaltung ist auch in den lyrischen Szenen geboten. Hier wird keinerlei Leidenschaft ausgespielt. Die Liebenden agieren angesichts des nahen Endes geradezu statuarisch – ganz wie es der Musik entspricht. Wer in der berühmten Liebesszene zwischen Dido und Äneas im vierten Akt eine „Nacht der Liebe“ im Stile von Tristan und Isolde erwartet hatte, der war wohl enttäuscht. Die Berlioz Musik, so schön und eingängig sie vor allem im zweiten Teil ist, will keine rauschhafte Wagner Musik sein. Sie ist eben französische tragédie lyrique, und als solche fasziniert sie – vor allem dann, wenn sie wie jetzt in Hamburg in Gesang und Orchesterklang so vollendet und so berührend dargeboten wird.
Wir sahen die Aufführung am 1. Oktober 2015, die 4. Vorstellung seit der Premiere am 19. September 2015.