Ja, das wollten wir schon immer wissen. Was machen die (scheinbar?) versöhnten Paare eigentlich – danach? Machen sie weiter mit ihrem Projekt „Gespielte Liebe“? Werden sie biedere Ehepaare? Fragen, für die einst Ponnelle, der so viele Male Così fan tutte in Szene gesetzt hatte, nur Hohn und Spott übrig hatte: Fiordiligi bleibt an der Seite Guglielmos frigide. Er wird sie dauernd betrügen. Ferrando wird impotent. Dorrabella bleibt flatterhaft. „Also ein Desaster. Und darüber freut sich Don Alfonso“.
Fragen, die dreißig Jahre nach Ponnelle Theatermacher Bieito ernsthaft beunruhigen. So schafft er denn in Basel Lorenzo Da Ponte einfach ab, lässt Mozart die Highlights (gruppiert sie allerdings neu), streicht radikal alle Rezitative, ersetzt sie durch Lyrik von Houellebecq, triste Liebeslyrik, und erfindet – so der Untertitel der Basler Così fan tutte Variante – „Eine Geschichte über Liebe, Enttäuschung und Wunschträume“.
Und die geht so: Die beiden Paare erwachen nach einem wohl trübseligen „flotten Vierer“ im gemeinsamen Bett, nein: werden von einer angedröhnten Despina aus dem Bett geworfen, und ein gelangweilter Alfonso im Outfit eines heruntergekommenen Single schaut zu. Da klettern nun vier verschlafene junge Leute in Unterhosen und T-Shirts aus dem Bett, rekeln sich, langweilen sich, und Madame Despina im eleganten Kleid rezitiert mit verrauchter Stimme nihilistische oder pornographische Houellebecq Verse. Verse, die Sopranistin und Mezzo, Tenor und Bariton wohl daran erinnern, dass sie bei anderer Gelegenheit schon mal Così fan tutte Arien gesungen haben. Und so singen sie uns auch in Basel, begleitet von einem auf der Bühne hinter einen Gaze Vorhang postierten Orchester, diese Arien in halbszenischer und teilweiser gekürzter Form vor.
Halbszenisch und gekürzt, weil sie sich, so will es die Anlage des Bieito Stückes, beim Singen ihrer gespielten Liebe erinnern, aus Frust und Enttäuschung in Gelächter ausbrechen und nicht weiter singen wollen.So geht das eine gute Stunde. Dann ist Bieito mit seinem Betroffenheits-Kammerspiel am Ende. Die vier Akteure suchen ihre am Boden zerstreuten Kleidungsstücke zusammen und verschwinden. Der alte Alfonso zankt sich noch ein wenig mit seiner Exgeliebten Despina und gibt dazu in englischer Sprache ein paar negative Äußerungen zum Thema Amore zum Besten. Despina, wohl die Besitzerin eines Stundenhotels, arrangiert das Bett neu und singt uns noch dazu die Despina Arie aus dem zweiten Akt des dramma giocoso Così fan tuttte.
So weit. So gut? Wer ein neues Stück von Bieito sehen wollte, ein Stück, das Mozart – und Da Ponte- Materialien als Absprungbasis für die eigene Imagination nutzt und dabei allen Witz, alle Ironie, alles Spielen mit tradierten Themen, Motiven und Haltungen, wie sie Libretto und Musik auszeichnen, gezielt ignoriert und dafür Trübsal, Betroffenheit, Nihilismus und Frust über vergangene Liebschaften serviert, wer das alles mag, der kam in Basel auf seine Kosten. Wer sich einen brillanten Mozart/Da Ponte Abend in Basel erwartete, der hat halt Pech gehabt.
Und die Bombenstimmung? Nein, so versicherte vor Beginn der Premiere der Sprecher des Basler Theaters, nein, es sei kein Regiegag, man habe wirklich auf dem Theatervorplatz einen als Bombe drapierten Koffer gefunden und deswegen habe die Basler Polizei weiträumig absperren müssen. Die Sache mit der Bombe sei Realität.Wirklich? Seltsam, dass wir bei der ‚Wirklichkeit‘ an Fiktion denken. Und bei der Fiktion, so suggerierte es die Regie an diesem Abend, an ‚Wirklichkeit‘. „Alle Liebe führt ins Desaster“. War das etwa die ‚Message‘ von Bieitos „Projekt“? Mit Verlaub gesagt. Das war keine Bombenidee. Das ist moralinsaurer Quark. Ach, so die junge Dame neben mir, ach, der Calixto Bieito ist halt alt geworden. Hat Witz und Biss verloren. Hat an der Liebe, geschweige denn am Sex, keinen Spaß mehr. Wie schade.
Wir sahen die Premiere am 24. April 2015.