„Vergiss dich selbst mein schönster Engel“. Emma und Eginhard an der Staatsoper im Schiller Theater

„Tief ist der Brunnen der Vergangenheit“. Auch in Berlin wagt man sich in die Tiefe. Genauer: man überlässt einem altbewährten Schatzgräber den Abstieg in die Vergangenheit. René Jacobs ist dieses Mal bei der  Hamburgischen Barockoper fündig geworden und präsentiert  mit der Akademie für Alte Musik Telemanns Oper Emma und Eginhard vom Jahre 1728, die scheinbar unmögliche Liebesgeschichte zwischen der Tochter des Kaisers und seinem nichtadligen Sekretär.

„Es sind Längen in der Oper – gefährliche Längen. Man lässt sie weg“. Ein Vorschlag des Tanzmeisters aus der Ariadne auf Naxos, den Maestro Jacobs gerne aufgenommen hat. Und trotz der vielen Kürzungen, die Jacobs vorgenommen hat, wird es noch immer ein fast vierstündiger Abend, ein Abend, den man trotz leichter Ermüdungserscheinungen indes nicht missen möchte. Nicht nur, dass eine absolute Rarität zu hören ist. Jacobsen bietet, wie auch nicht anders zu erwarten war, eine hochkarätige, perfekte Aufführung. Es wird in allen Rollen virtuos und brillant gesungen  – allen voran wohl das ‚ Traumpaar‘ Emma und Eginhard in den Personen der Robin Johannsen  und des Nikolay Borchev. Die Akademie für Alte Musik erzeugt auf ihren alten Instrumenten den besonderen Sound der Barockmusik.  Und auch die Regie weiß mit dem hohen Standard, den Gesangs- und Instrumentalsolisten vorgeben, durchaus mitzuhalten.

Die Hamburgische Barockoper ist offensichtlich eine Mischgattung aus Opera seria, Buffa, Gesellschaftskritik, die der Satire manchmal recht nahe kommt, bürgerlichem Selbstbewusstsein  und Metatheater. Die Regie nimmt diese Eigentümlichkeiten der Gattung auf, verstärkt und konkretisiert sie. Kaiser Karl selber inszeniert das Stück, schaut von außen zu, geistert durch die Szene, durch Kulissen und Hinterbühne, ohne von den Handelnden bemerkt zu werden. Erst als Töchterchen Emma es zu bunt treibt und den verliebten Sekretär Eginhard verführt, greift er selber in das Geschehen ein, wird zum rächenden Tyrannen, der sich ganz gemäß den Gattungszwängen der  Opera seria im lieto fine zum alles verzeihenden milden Herrscher wandelt. Hofnarr Steffen, nicht im Narrenkostüm, sondern im Outfit unserer Zeit, fällt die doppelte Rolle des Regieassistenten und des Gesellschaftskritikers zu. Und das zweite Paar, secondo uomo und seconda donna,  dürfen das konventionelle Liebespaar der Opera seria mimen. Und damit auch die Buffa präsent ist, gibt es noch ein drittes Paar, das Dienerpaar : die mit Witz begabte junge Zofe und den leicht tölpelhaften Kammerdiener, der am Ende das Nachsehen hat.
Es mag ja sein- so deutet es die Gebrauchsanweisung im Programmheft an – dass die Regie auch ein wenig die Liebesdiskurse durchdeklinieren wollte: die standesgemäße konventionelle ‚ Liebe‘ beim zweiten Paar, die burleske Liebe beim Dienerpaar, die ‚Liebe als Passion‘ avant la lettre beim ersten Paar. Diese Liebe sollte zugleich eine Utopie sein, eine Liebe zwischen dem bürgerlichen Intellektuellen und der Prinzessin, einem Intellektuellen,  der nicht durch heroische Taten, sondern mit ,Diskursmacht‘, mit der Macht der Rede und des Gesangs, die Märchenprinzessin gewinnt: Schneewittchen von Kostüm und Maske und Bühnenerscheinung.

So wäre denn letztlich die Hamburgische Barockoper ein Märchenspiel und ein Bürgertraum vom Aufstieg über alle Standesschranken hinweg. Erinnern wir uns, dass gut zwei Jahrzehnte zuvor Händel in seiner Hamburger Oper Almira einen ähnlichen Traum hatte, den Traum aber im Finale verwarf. Der Sekretär, den Prinzessin Almira sich zum Gemahl erwählt hat, erweist sich dank des Deus ex machina als Hochadliger, der von seiner Herkunft nichts wußte.

Von der trüben Langeweile, die Händels Oper auszeichnet, hat Telemanns Oper in der Berliner Aufführung nichts. Hier gelingt in Musik und Szene ein Glanzstück.
Allgemeine  Begeisterung im Publikum – und dies zu Recht. Alles ist so perfekt und wunderschön. Und doch fehlt irgendetwas. Ich weiß nicht, was es ist. Ist es vielleicht der Zauber, der von Musik und Szene ausgehen könnte, auf den man  vergeblich wartet? Nein, das ist es wohl nicht. Der Perfektion, wie sie Maestro Jacobs und Theatermacherin Höckmayr bieten, fehlt etwas Entscheidendes. Es ist alles so perfekt – und so  kalt und so seelenlos. Es singen und spielen Marionetten.

Wir sahen die Aufführung am 29. April, die 2. Vorstellung. Die Premiere war am 26. April 2015.