Am Anfang tut man sich eher schwer – vielleicht mit Absicht. Es zieht sich alles so dahin. Musik und Szene wollen nicht so recht in Fahrt kommen. Maestro Schirmer setzt auf Langsamkeit, auf das Sachte und auf das Piano, und ganz in diesem Sinne sieht auch die Regie von allem Spektakulären ab. Im Innenhof eines Kastells, der über eine Art Zugbrücke erreichbar ist und vor einer Wiese, auf der sich im hohen Gras die Lemuren tummeln (oder sind es Wotans Helden bei der Morgengymnastik?), vor dieser Wiese haben Mime und Siegfried ihre mit Sesseln, Amboss und Herdplatte möblierte Wohnstatt. Es passiert nicht viel – außer der üblichen Balgerei zwischen dem Alten und seinem Zögling. Wie im Graben geht es auch auf der Bühne gemächlich zu, und im Publikum breiten sich Müdigkeit und ein Anflug von Langeweile aus.
Von all dieser Gemächlichkeit ist im zweiten und vor allem im dritten Aufzug nichts mehr zu spüren. Das Siegfriedidyll wird geradezu zelebriert, jede Note gleichsam ausgekostet, ein Wagner der einschmeichelnden Pianissimo Töne, wie man ihn sich eingängiger und schöner kaum vorstellen kann. Und mit Christian Franz in der Rolle des Siegfried steht ein Wagnersänger auf der Bühne, dem gerade die lyrischen Partien besonders liegen. Auch die Regie kommt jetzt in Fahrt. Das Böse, das Gefährliche hat bereits Wotans verfallenes Kastell unterminiert. Die Drachenhöhle liegt unter der Burg. Die impliziten Hinweise auf das nahende Ende der Macht der Götter verführen das Regieteam um Rosamund Gilmore indes nicht dazu, das Siegfried Märchen ‚realistisch‘ zu verstehen. Riese Fafner ist eine übergroß dimensionierte Karnevalspuppe, die einem rheinischen Rosenmontagszug entlaufen sein könnte, ein Popanz, dem viele kleine Riesenkinder zu Dienste sind. Siegfried erledigt sie allesamt. Wir sind halt im Märchen und in der Komödie.
Zum Höhepunkt des Leipziger Siegfried wird der dritte Aufzug. Die Regie evoziert ein schauerromantisches Ambiente in bläulich-rotem Licht. Vom „prangenden Bau“ der „Götter-Burg“ ist nur noch eine von Galerien durchbrochene Außenmauer übrig. Brünnhilde ruht als ihre eigene Statue im einstigen Innenhof auf einer Art Heldengrab. Ein Ambiente, so stimmungsvoll es auch sein mag, das vor der Musik zur quantité négligeable wird. Wie Maestro Schirmer und das Gewandhaus Orchester das Tempo steigern, wie sie den berüchtigten ‚rauschhaften‘ Wagner erklingen lassen, das ist faszinierend und bewundernswert. Wer die „Klangfarbenpracht“ Wagners mag, sich der „narkotisierenden Wirkung“ seiner Musik hingeben möchte, im dritten Aufzug des Siegfried konnte er es erfahren. Hinzu kommt, dass mit Elisabet Strid die Rolle der Brünnhilde exzellent besetzt ist. Von Stimme, Spiel und Bühnenerscheinung her eine Sängerschauspielerin, die die erwachende Leidenschaft, „das wild wütende Weib“, das den armen Siegfried das Fürchten gelehrt hat, glaubhaft zu machen weiß.
Ein – sieht man einmal von dem etwas zu müden Anfang ab – höchst gelungener und faszinierender Siegfried an der Oper Leipzig.
Wir sahen die Premiere am 12. April 2015.