In Linz, einst „die Stadt des Führers“, heute eine etwas heruntergekommene Industriestadt, hat die Republik Österreich kürzlich einen groß dimensionierten Musiktheatertempel errichtet: Foyers so weitläufig wie halbe Fußballfelder, gleich zwei Restaurants der gehobenen Kategorie, beide vor Vorstellungsbeginn bis auf den letzten Platz besetzt. Und auch noch nach der Vorstellung sind Rauchersalon nebst Restaurant auf der Dachterrasse stark frequentiert. Künstler und Publikum frönen lustvoll der Gula, laben sich an der ,Grande bouffe‘.
Der etwas versteckt liegende Theatersaal ist ganz in Rot ausgeschlagen, ein blutig roter Vorhang, rote Sessel (ja, wir wissen schon: rot ist die Farbe der Liebe. Rot ist das Blut. Und um Liebe und Totschlag geht es ja meist in der Oper). In jeden Sessel ist eine Videoanlage eingebaut, die dem interessierten oder sich vielleicht langweilenden Zuschauer erlaubt, das Libretto zu lesen, das Theaterprogramm der Saison zu erkunden und sich einen Tisch im Restaurant zu reservieren. Keine Frage, im neuen Landestheater in Linz ist für Lektüre und Verdauung gesorgt, wobei frei nach Gerard Mortier die Oper ja nicht wegen der Verdauung besucht werden sollte.
„Prachtvoll prahlt der prangende Bau“. Nicht im Neubarock wie einst bei Fellner und Helmer, sondern nüchtern, modern, repräsentativ. Zum Schauen bestellt, zum Promenieren, zum Sich-in Szene- Setzen, kaum anders als wie bei den beiden Theaterbaumeistern des späten 19. Jahrhunderts.
Leider steht die Architektur Show in einem geradezu grotesken Missverhältnis zur dürftigen Show, die die Bühne bietet. Aus Respekt vor den Künstlern sage ich es nicht gerne: eine in Orchesterklang, Gesang und Szene – um es ganz vorsichtig zu sagen – so suboptimale Wagner Aufführung, wie wir sie jetzt am Landestheater Linz erlebt haben, haben wir schon lange nicht mehr gesehen und gehört. Es mag ja sein, dass ich Musikern, Sängern und dem für die Szene verantwortlichen Produktionsteam Unrecht tue. Es mag ja auch sein, dass, aus was für Gründen auch immer, an diesem Abend nicht alle Beteiligten in Hochform waren. Aber – mit Verlaub gesagt – es darf doch nicht sein, dass man bis beinahe zur dritten Szene braucht, um sich so richtig einzusingen, dass nur die kleinen Rollen der Erda und des Mime und im zweiten Teil auch die Rolle des Alberich angemessen besetzt waren und dass man lange braucht, um etwas vom ‚rauschhaften‘ Wagner ahnen zu lassen. In Linz sind wir nicht in München. Hier gelten andere Maßstäbe, eben die Maßstäbe eines mittelgroßen Hauses. Doch – um nur zwei Beispiele zu nennen – am Staatstheater Nürnberg und selbst in der angeblich so tiefen deutschen Provinz, am Anhaltischen Theater Dessau, weiß man Wagner auf hohem Niveau und in anspruchsvollen Inszenierungen zu präsentieren. Und beides lässt sich bei aller Toleranz leider nicht vom Theater Linz sagen.
Wie der Musik Part so enttäuscht auch die Szene. Uwe Eric Laufenberg, der einst in Köln mit den Meistersingern und der Ariadne auf Naxos zu brillieren wusste und der jetzt die Linzer Ringinszenierung verantwortet, kann mit dem Rheingold, in dem Wagner angeblich vom Beginn der Welt erzählt, wohl nicht viel anfangen. So rührt er halt kräftig in seinem Zettelkasten, pardon: spielt mit seinen gesammelten Dateien, ohne zu einer schlüssigen Konzeption zu gelangen. Ist der Anfang der Welt auch der Anfang der orientalischen Religionen? Sind Wotan und seine Konsorten vielleicht zu Beduinen mutiert? Sind die Riesen in ihren Priesterkleidern und mit ihren hoch ragenden Kopfbedeckungen vielleicht koptische Geistliche oder vielleicht jüdische Oberpriester? Verweist die Göttin Freia vielleicht auf die christliche Göttin Maria oder bei der Kinderschar, die um sie herum springt, vielleicht auf die babylonische Fruchtbarkeitsgöttin Astarte? Kämpfen die alten Religionen vielleicht gegen die neue Religion des Geldes, des ‚Kapitalismus‘, inkarniert in der Figur des Industriellen und Kapitalisten Alberich? Ist in diesem Zusammenhang dann Mime der ausgebeutete und getretene Proletarier? Der Regie mangelt es offensichtlich nicht an Ideen und Referenzen. Es mangelt ihr an Kohärenz. Oder bietet sie dem Publikum als Kostprobe auf Kommendes im Rheingold einfach einen Mythensalat als Hors d’oeuvre an? Mag ja sein. Ich weiß es nicht.
Ich bin ohne jegliche Vorurteile nach Linz gefahren, hoffte nicht unbedingt auf einen Wagner der Spitzenklasse, aber doch auf einen Wagner, wie man ihn in einem Haus mittlerer Größe eigentlich erwarten darf. Die Enttäuschung war groß. „Allein, was tut’s“. Ich versuch‘s nächste Woche noch einmal. Vielleicht ist dann bei der Götterdämmerung alles anders.
Wir sahen die Aufführung am 31. März 2015. Die Premiere war am 26. Oktober 2013.