Zum Auftakt der diesjährigen Mozart Woche präsentiert die Stiftung Mozarteum in einer grandiosen Produktion Glucks Orpheus in der Wiener Fassung von 1762. Dass Bejun Mehta in der Titelrolle der absolute Star der Aufführung ist, dass er so makellos schön, so ‚seelenvoll‘ und anrührend zu singen weiß und dass er darüber hinaus auch noch ein exzellenter Darsteller ist, das überrascht keinen seiner Fans. Wir haben diesen ‚Ausnahmesänger‘ vor ein paar Jahren im Theater an der Wien als Orfeo erlebt und waren schon damals begeistert und hingerissen. Jetzt in Salzburg schien er mir noch besser, noch brillanter. Nicht zuletzt wohl auch, weil Maestro Minkowski mit seinen Musiciens du Louvre Grenoble und dem Mozarteumorchester einen schwungvollen und zugleich subtilen Gluck erklingen ließ, eine Gluck Musik, der jegliche edle Langweile und affektierte Erhabenheit, die mich so oft bei Gluck Aufführungen gestört haben, gänzlich fern liegt.
Doch es sind nicht allein Orchesterklang und Gesang, die den Salzburger Orfeo zu einer Ausnahmeproduktion machen. Regiekonzeption, Bühne und Ausstattung faszinieren nicht minder. Dieser Salzburger Orfeo, wie ihn Ivan Alexandre als Regisseur und Pierre-André Weitz als Ausstatter konzipiert haben, erzählt nur vordergründig den Mythos vom Sänger Orpheus und seinem Abstieg in die Unterwelt. In Salzburg wird Glucks Orfeo zur Ballade vom Tod und der Sehnsucht nach dem Tode. Und dabei wird die Musik konsequenterweise zur Todesmusik, zum Totentanz. Der Tod als stumme Figur ist von der ersten bis zur letzten Szene stets als Person präsent. Und zu ihm, nicht zum Gatten Orfeo, fühlt sich Euridice hingezogen, und mit ihm tanzt sie als eine neue Proserpina, als Geliebte des Pluto, den “Reigen seliger Geister“. In seinen Schoß legt sie sich, als Orfeo sie mit dem verbotenen Blick von sich gestoßen hat. In die Arme des Todes flüchtet sich auch im ganz konkreten Sinne Orfeo. Der Tod, und nicht Euridice, ist sein eigentliches Sehnsuchtsideal.
Bei dieser Konzeption kann das zwanghafte ‚lieto fine‘ nur aufgesetzt und überflüssig wirken. Der Deus ex machina Amor ist nur ein kleiner Popanz, Orpheus und Eurydike stehen wie Statuen weit voneinander entfernt auf dem Bühnenpodest und schauen sich nicht an. Der Tod stemmt die Weltkugel empor. Nein, nicht Amor vincit omnia. Mors vincit omnia. Orpheus und Eurydike sind nur Friedhofsfiguren in einem Tableau, die in der Imagination der modern gekleideten Trauergäste aus ihrem Tableau herausgetreten sind und dorthin wieder zurückkehren werden. Das ‚lieto fine‘ ist nur ein Märchen. Und dies alles wird ohne die geringste Spur von Trash in ästhetisch schönen Bildern in Szene gesetzt. Die „holde Kunst“ und ein in Schönheit Sterben – auch dies gehört zur Konzeption des Salzburger Orfeo.
Ein großer Opernabend. Ein begeistertes und diszipliniertes Publikum, das wider alles Erwarten nicht in die Szene hinein klatsch, das vor der Totenfeier, die sich in der Musik wie auf der Bühne ereignet, verstummt. Wir sahen die Premiere am 23. Jänner 2014.