Und die Öffentlichkeit ist immer dabei. La Clemenza di Tito im Fernsehstudio. Eine Neuinszenierung im Théâtre de la Monnaie

Dieser Brüsseler Tito ist eine ungewöhnliche Produktion. Nicht wegen der so modisch schicken Inszenierung (wir kommen gleich noch darauf zu sprechen), sondern wegen der herausragenden musikalischen Interpretation. Ein Eindruck, der sich vom ersten Takt an immer mehr verfestigt.  Star des Abends ist das „Orchestre symphonique de la Monnaie“ unter seinem Dirigenten Ludovic Morlot. Einen so sanften, einen, wenn es nicht so abgegriffen wäre, müsste man sagen, einen so einfühlsam, so seelenvoll musizierten Mozart, wie er In Brüssel geboten wird, habe ich sehr selten gehört. Hier klappert und scheppert nichts, hier gibt es kein aufgedonnertes Pathos in den ‚politischen‘ Arien des Tito, hier gibt es  keinen Kitsch im Rondo der Vitellia und auch kein falsches Pathos in den  ‚Lamentoarien‘ des Sesto. Warum sagen wir nicht ohne Scheu: hier klingt einfach alles ‚schön‘. Hinzu kommt, dass ein Ensemble renommierter Sängerdarsteller singt und agiert und mit Charles Workman als Tito  und Michèle  Losier als Sesto die Rollen der beiden Protagonisten mit Sängern besetzt sind, die in Gesang und Spiel und nicht zuletzt auch durch ihre Bühnenerscheinung glaubhaft die Zwänge und Konflikte der Figuren darzustellen wissen. Mit einem Wort: von Orchesterklang und Gesang und Spiel her  eine herausragende Produktion.

Und die Inszenierung, für die Ivo Van Hove verantwortlich zeichnet? Sie stellt nicht den Freundschaftsdiskurs in den Mittelpunkt. Sie verzichtet auch darauf, die Figur des Tito zu ‚dekonstruieren‘ und ihn zum masochistischen Trottel zu machen, sie verzichtet auch auf allen Trash, alle Gewalt und allen kruden Realismus. Sie transferiert stattdessen ein Basisthema absolutistischer Herrschaft, das sich auch in der opera seria widerspiegelt, in unsere Zeit:  wenn der absolutistische Herrscher und seine Entourage  in einer permanenten Öffentlichkeit leben, eine Existenz, die gleichbedeutend mit einer Absenz von Privatheit ist, dann bedeutet dies, in unsere Zeit übertragen, dass der Politiker und seine Umgebung Figuren sind, die unter ständiger Beobachtung des Publikums und der Medien stehen. Von hier aus gesehen ist es nur konsequent, dass die Regie die Handelnden in La Clemenza di Tito zu Figuren  macht, die sich in einer Art Glashaus bewegen, das zugleich Schlafraum, Salon und Büro ist, dass Passanten von der Straße her in dieses Glashaus hineinschauen können und die jeweilige Szene simultan als Video erscheint. Überaus deutlich wird diese Konzeption im zweiten Akt, wenn sich das Glashaus  zu einem Fernsehstudio mit Tribünen für die Zuschauer wandelt. Kameramänner sind auf der Seitenbühne postiert, Scriptgirls, Journalisten und Bedienstete laufen durch die Szene. Zu seiner politischen Rede im Finale wird Tito noch schnell Schminke aufgelegt. Mit anderen Worten: das Spiel um den Politiker Tito, um die Intrigen, die gegen ihn gesponnen werden, um das gescheiterte Attentat, all dies ist nicht nur ein Geschehen, das sich in aller Öffentlichkeit abspielt. Es wird noch dazu im Studio eingespielt. Der Herrscher und seine Entourage stehen nicht nur im permanenten Blick der Öffentlichkeit. Sie sind noch dazu Fernsehstars.

Eine durchaus überzeugende aktuelle Variante der opera seria. Eine Konzeption, die meines Wissens ein bisher kaum beachtetes  Element der Gesellschaftsstruktur dieser Gattung  herausgreift und es konsequent in den Mittelpunkt der Inszenierung stellt. Doch bei allem Verdienst, das der Inszenierung zukommt. In Brüssel gilt: Prima la musica e poi la regia.

Wir sahen die Aufführung am 24. Oktober 2013. Die Premiere war am 10. Oktober 2013.