(Beinahe) wie im 18. Jahrhundert. Die Primadonna wünscht sich eine Oper – und der junge Komponist schreibt sie für sie. Iain Bell, A Harlot’s Progress mit Diana Damrau in der Titelrolle am Theater an der Wien

Die Primadonna von heute wählt nicht wie einstens ihre  Vorgängerinnen zur Zeit der opera seria  ein heroisches Sujet, wo Damen von hohem Stande aus Mythos und Geschichte edle Leidenschaften besingen und im lieto fine Erfüllung ihrer Sehnsüchte finden. Die Operndiva von heute bleibt zwar im 18. Jahrhundert. Doch wählt sie, um zu brillieren, ein äußerst niedriges Sujet: eine Bilderfolge von William Hogarth, die vom blitzschnellen Abstieg eines Mädchens vom Lande zur syphilitischen Gassenhure in einem London der Zuhälter, Diebe und Lustgreise erzählt.

Ob sich unsere Primadonna, die sonst als Belcanto Königin oder als Zerbinetta zu bezaubern weiß, mit der Wahl  eines solch vulgären Sujet wirklich einen Gefallen getan hat? Darstellerisch vielleicht nicht. Die kleine Hure Moll mit der großen, doch ach so vergeblichen Liebe zum brutalen Macho James, einem Zuhälter und Straßenräuber, will man ihr nicht so recht abnehmen. Doch stimmlich ist die Diva wie immer bravourös und hat wohl als Moll Hackabout eine neue Paraderolle gefunden. In den Wahnsinnsszenen im fünften Bild da singt sie  mit Violetta, Lucia und Zerbinetta geradezu um die Wette, brilliert nur so in Koloraturen, Trillern und  Fortepiano-Ausbrüchen –  und will so gar nicht sterben. „Die Oper hat Längen, gefährliche Längen“ – und nicht nur in diesem Bild. Doch anders als in der Ariadne auf Naxos gibt es hier keinen „Tanzmeister“, der zu Strichen rät.

Zur Musik darf und mag ich als simple Opernbesucherin eigentlich nichts sagen. Vielleicht nur:  sie erschien mir beim ersten Hören weder sonderlich spektakulär noch irgendwie provozierend. Iain Bell ist wohl kein ‚Neutöner‘. Eigentlich klang alles so wie der Soundtrack zu einem Film – zu einem eher verstaubten Film aus der Mode des ‚Neorealismus‘. Vielleicht hat auch die Regie mit ihrer Vorliebe für Trash, Sex und Gewalt, mit ihrem kruden Realismus, mit dem sie den angeblichen ‚Realismus‘ eines Hogarth noch zu übertreffen suchte, dazu beigetragen, dass man sich im Publikum schnell in die Voyeur Rolle gedrängt und von der Musik abgelenkt fühlte.

Wir sahen die Aufführung am 27. Oktober. Die Premiere war am 13. Oktober 2013.