Der Anfang ist, wie schon bei der Walküre, spektakulär. Es gibt keine Guckkastenbühne und keinen Orchestergraben. Das Orchester ist auf der Bühne platziert, besetzt den halben Bühnenraum und musiziert die ersten Takte des Vorspiels im Dunklen. Aus der Unterbühne taucht ein Wesen auf, das sein Gesicht mit einer Perücke verhüllt: Mime, eine Art Hobbit, der aus der „Erde Tiefe“ heraufsteigt. Spielfläche ist der teils mit Glasbausteinen, teils mit Betongittern überdeckte Orchestergraben sowie die rechte Hinterbühne. Außer ein paar traditionellen Requisiten wie Feuer, Schwert und Amboss, Mimes Bett, auf dem sich Siegfried lümmelt, ein paar Flaschen, aus denen der „garst’ger Zwerg“ seinen Gifttrank mischt, gibt es nichts. Noch minimalistischer geht es im zweiten und dritten Aufzug zu. Der „Waldvogel“ turnt am oberen linken Bühnenrand in einem schlauchartigen Käfig herum, und ein Knabensopran singt und spielt das „liebe Vöglein“. Einen Walküre-Felsen gibt es nicht. Die schlafende Walküre wird auf einer Art Klinikbett hereingefahren.
Wie schon in der Walküre will die Regie (Pierre Audi) auch im Siegfried kein Welterklärungsmodell anbieten und verzichtet auf jegliche ideologische Botschaft. Sie erzählt uns mit Anleihen an die Fantasy-Literatur einfach „ein Märchen aus uralten Zeiten“. Ein Märchen, in dem Mime und Alberich als Hobbits erscheinen, Fasolt ein zu Stein gewordener Riese und Wotan ein fernöstlicher Priester ist. Brünnhilde in ihrem langen roten Kleid und mit schwarzem langem Haar ist ein veritable Märchenprinzessin, ein erwachsen gewordenes Schneewittchen, und Siegfried in seinem Wildleder Outfit könnte geradewegs einem Western entsprungen sein. Doch all dies ist gar nicht so wichtig. Mit wenigen Mitteln, ganz auf die Personenregie konzentriert, auf das Spiel der Sängerdarsteller, die geradezu in Tuchfühlung mit den Zuschauern agieren und diese gleichsam in das Geschehen mit einbeziehen, gelingt der Regie faszinierendes Theater.
Im Amsterdamer Muziektheater – und jetzt zitiere ich, was ich zur Walküre geschrieben habe, denn es gilt uneingeschränkt auch für den Siegfried – „wird unter der Leitung von Maestro Hartmut Haenchen so brillant, so phantastisch gesungen und musiziert, das alles übrige sekundär ist, im Wortverstande zur quantité négligeable wird. Ein ungewöhnlich gelungener Wagnerabend, an dem es nichts zu bekrittel gibt. Wenn es sich nicht so abgegriffen und so pathetisch anhörte, könnte man auch sagen: ein rauschhafter Wagnerabend mit einer mehr als herausragenden Besetzung“.
Wir sahen die Aufführung am 12. September, die dritte Vorstellung nach der Wiederaufnahme am 31. August 2013. Die Premiere war am 1. Juni 1998.