In den aus heutiger Sicht schon legendären Zeiten, als Peter Jonas Intendant der Bayerischen Staatsoper und David Alden sein Hausregisseur war, da haben wir viele Arbeiten Aldens gesehen: Rinaldo, Ariodante, La Forza del Destino, Tannhäuser, den Ring. Inszenierungen, die uns stets faszinierten und begeisterten. So sind wir denn als Alden Fans nach Amsterdam gefahren, um seine Meistersinger Version zu sehen. Und es hat sich gelohnt. Der David Alden Stil ist noch immer unverkennbar und fasziniert noch immer: die Deutungen gegen den Strich, die gern ironisch gebrochenen Film-, Literatur- und Bildzitate, das Spiel mit Zeiten und Epochen. Alden Inszenierungen fordern den Zuschauer. Sie sind, um es vornehm auszudrücken, ein Appell an Intellekt und kulturelles Gedächtnis des intermedial versierten Zuschauers. Dieser idealtypische Zuschauer, der alle Verweisungen und vor allem die Varianten der Verweisungen zu erkennen, einzuordnen und zu goutieren weiß, der bin ich leider nicht. Doch das wenige, was ich erfasse, genügt wohl schon, um die subtile Anlage der Inszenierung zu erkennen, eine Inszenierung, die die komödiantischen Elemente des Libretto aufgreift, verstärkt und hin zur Parodie und zur Satire steigert und mit einer Fülle von Verweisungen arbeitet.
Leicht erkennbar ist die Lohengrin Parodie oder besser gesagt: die Lohengrin Persiflage im Finale des dritten Akts. Stolzing tritt in voller Ritterrüstung auf, schreitet wie der Gralsritter bei seinem ersten Auftritt durch die Reihen, siegt im Streit, lässt sich von Noblen und Volk nicht vereinnahmen, verschwindet wieder – und nimmt das Mädchen mit, und ein verdutzter und düpierte Sachs alias König Heinrich bleibt zurück. Wir sind halt in der Komödie und in der Parodie und nicht in der Tragödie.
Leicht erkennbar ist auch die Satire auf die Nürnberger (oder ganz allgemein: die deutsche) Gesellschaft der Biedermeier Zeit und der heutigen Zeit. Diese Gesellschaft, der Chor, ist eine schwarz gekleidete, gesichtslose anonyme Masse. Die Meister sind Karikaturen, senil und tölpelhaft, feist und eitel wie der vergreiste Pogner, geckenhaft wie Beckmesser. Groteske Gestalten sind sie allesamt, Gestalten, die wohl auf die Karikaturen eines George Grosz verweisen. Eine Referenz, die im dritten Akt noch einmal deutlich wird, wenn dem verwirrten Beckmesser, der sich gerade das Blatt mit Stolzings Preislied angeeignet hat, riesige Puppen erscheinen, karnevaleske Karikaturen aus dem ‚bürgerlichen Heldenleben‘. Auch vor der Person des Hans Sachs macht der Hang zur Karikatur nicht halt. Aus dem Schuster und Poeten des Libretto ist ein Kaufmann, ein Schuhhändler geworden, der in einem überdimensionierten Verkaufsraum residiert. Nicht genug damit. Im Finale präsentiert er sich wie ein Zirkusdirektor im roten Frack. Und die Festwiese selber? Schmierentheater im Bierzelt, in dem Beckmesser sich als Transvestit ‚outet‘, Stolzing Lohengrin karikiert und Sachs gelangweilt seine politische Rede hält, die niemanden interessiert.
Parodie, Karikatur, Groteske, böse Komödie allerorten. Vielleicht eine einzige sublime Sequenz, eine Szene, die noch nicht einmal inszeniert wird, die von der Rampe herab gesungen wird: das Quintett im ersten Finale des dritten Akts: „die selige Morgentraumdeut-Weise“.
Ein umjubelter Wagner Nachmittag im Amsterdamer Muziektheater (mag auch der eine oder andere der Mitwirkenden nicht in gewohnter Topform gewesen sein). Wir sahen die Aufführung am 23. Juni 2013, die letzte Vorstellung des diesjährigen Zyklus. Die Premiere war am 4. Juni 2013.
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