Ein Schuss im späten Nachsommer. Tristan und Isolde bei den Junkies und im Altenheim. Ein szenisch misslungener Tristan an der Deutschen Oper Berlin

Da ist wieder einmal einem unserer renommierten Theatermacher wirres Zeug durch die Birne gerauscht. Nichts von Passion und Liebestrank. Eine hysterische überreife Dame springt im weißen Unterkleid und  in Omas Strickjacke herum  und überredet einen gesetzten Herrn aus großbürgerlichen Kreisen sich gemeinsam einen Schuss zu setzen – in einem Salon, wo der Couchtisch ein Sarg ist, wo eine Schar Jungmänner aus der Unterschicht mit ihrer Potenz nicht zu Rande kommt und lüsterne Blicke auf die Dame im Unterkleid wirft,  wo ein Herr Tristan auf der Couch Albträume hat. In seinen Träumen sieht er sich selber als Jüngling, dem sich ein hübsches Mädchen im Eva-Kostüm nähert und  ihn entführt. Dann gibt es noch einen Junkie mit Entzugssyndrom und einen jungen Herrn im Maßanzug, der die ganze Zeit über im Sessel sitzt und durch eine Fensterfront ins Nirgendwo schaut. Ja, wir haben es gleich erraten, das ist der gute König, der von all dem, was um ihn herum geschieht,  nichts wissen will.  Im Finale wälzt sich Tristan in seinem Zweireiher auf der Couch herum – ohne Isolde. Der Schuss, den er sich verpasst hat, der hat ihm halt mächtig zugesetzt.

Ja, sehr geehrter Herr Theatermacher, wir haben es alle  mitgekriegt: im Tristan geht es um den Tod   – deswegen der Sarg auf der Szene – ja auch um die Liebe – deswegen die Couch – und damit die Liebe zur ewigen Droge wird, da brauchen wir halt den Schuss. Und für die, die immer noch nicht kapiert haben, dass Eros und Thanatos, vulgo: Couch und Sarg, zusammengehören, für die hat die Regie im zweiten Akt die Couch direkt neben den Friedhof gestellt und noch dazu einen nackten Jüngling als Totengräber und ein nacktes Mädel als Todesengel aufgeboten. Vornehm nennt man diesen Inszenierungsstil Banalisierung des Mythos und Überdetermination, weniger vornehm: Hang zum Trash und zur Holzhammermethode.

Und im dritten Akt  – im Altersheim, da ist dann wirklich alles tot und siech.  Der Sarg ist wieder da. Für einen  zweiten stehen schon die  Grablichter bereit. Tristan und Marke sind zu Tattergreisen, Isolde und Brangäne zu  noch halbwegs rüstigen Rentnerinnen mutiert. Zu Isoldes Ankunft verschwindet Tristan über die Veranda ins Nichts, Marke trifft in Tristans Lehnstuhl  der Schlag, und Großmütterchen Isolde singt uns noch den Liebestod – und das macht  die routinierte Sängerin ergreifend schön. Und das   war wohl auch ihre einzige brillante Szene. Ein Glück, dass die Deutsche Oper die Rollen des Tristan und des Marke mit Stephen Gould bzw. mit Günther Groissböck so hochkarätig besetzen konnte, ja sonst hätte man, wie das gleich vier Besucher in der Reihe hinter mir taten, gleich nach dem ersten Akt nach Hause gehen können. Wie seltsam, dass  die Berliner Opernhäuser, mögen sie sich nun Staatsoper im Schillertheater oder Deutsche Oper nennen,  sich mit Wagner so schwer tun und mit den konzertanten Aufführungen des Berliner Rundfunk- Sinfonieorchesters nicht mithalten können.

Wir sahen die Vorstellung am 17. März 2013, „die 10. Aufführung seit der Premiere am 13. März 2011“.