Die Schönen mit der „geläufigen Gurgel“. Lucio Silla zum Auftakt der Salzburger Mozartwoche 2013

Ein Fest der Stimmen, ein Fest der Rokoko-Ästhetik. Der Salzburger Lucio Silla  ist ein Ereignis. Hier präsentieren  Les Musiciens du Louvre Grenoble unter der Leitung von Marc Minkowski einen Mozart in Vollendung. Hier wird grandios und brillant gesungen – von den Damen, die im geradezu immerwährenden Wettbewerb  scheinbar mühelos ihre Koloraturen zwitschern, ihre Pianissimi hauchen, in ihren prachtvollen Rokoko Kostümen verzaubern. Ein Fest des Gesangs, der Eleganz, der Schönheit. Opera seria als ästhetisches Vergnügen. Angesichts der Dominanz der Damen hat es der schon vom Komponisten stiefmütterlich behandelte Tenor in der Titelrolle nicht gerade leicht. So lässt ihn der Maestro, auf dass der berühmte Sänger nicht zu sehr im Abseits stehe, im Finale eine Arie von Johann Christian Bach noch zusätzlich singen. Aber gegen die Brillanz der Damen hilft auch das nicht viel. So dürfte die Oper in Salzburg eigentlich  nicht Lucio Silla, sondern müsste Cecilio und Giunia, Lucio und Celia heißen.  Nein, besser noch:  Cecilio, denn in der Person  des Mezzosoprans  Marianne Crebassa war der Primo Uomo in seiner Doppelrolle als scheiternder Verschwörer und erfolgreicher Liebhaber der Star des Abends – ganz wie es sich für eine Opera seria gehört.

Und die Inszenierung? Ja, wer eine historisierende Aufführungspraxis mag, die in Bildern und Kostümen, in Tanz und Gesten schwelgt, die die Rokoko-Ästhetik beschwört, der kommt ganz auf seine Kosten. Alles ist  einfach nur schön und teuer. Perfektes, manchmal leicht ironisch gebrochenes historisierendes Theater, wenn die Sängerinnen mit einem angedeuteten spöttischen Lächeln zum Publikum hin von der Rampe singen und  mit einem angedeuteten Hofknicks wieder in die Kulissen zurücktreten. Glanzvolles Theater, das sein Publikum verzaubern will. Opera seria, wie sie (vielleicht?) einst bei Hofe vor der höfischen Gesellschaft gespielt wurde. Opera seria als idealisierte Widerspiegelung einer höfischen Welt, in der sich aller Streit der Affekte und alle politischen Konflikte märchenhaft im lieto fine lösen.

Eine Erholung oder ein Ärgernis für ein vom Regietheater verwöhntes oder geschädigtes Publikum? Vielleicht eine implizite Hommage an den Inszenierungsstil eines Ponnelle? Lassen wir alles Mäkeln. Das Produktionsteam um Marc Minkowski, Marshall Pynkosi und Antoine Fontaine hat uns mit seinem Lucio Silla einen großen Opernabend beschert.

Wir sahen die Premiere am 24. Januar 2013.

 

Nachtrag vom 2. Februar 2013

 

Wo und wann hat man schon Gelegenheit,  binnen einer Woche zwei ‚klassische‘ Versionen von Lucio Silla zu hören? In Salzburg  bei der Mozart Woche. Hier präsentierte am 2. Februar Ivor Bolton  mit seinem Mozarteumorchester und einem hochrangigen internationalen Sängerensemble Johann Christian Bachs Lucio Silla – konzertant. Wer musizierte schöner? Wer sang besser? Welche Version, die von Mozart oder die von Bach, ist ansprechender, brillanter, schöner? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich zwei ungewöhnliche, zwei hervorragende Aufführungen gehört habe.