Kinowelten und wieder Krieg im Nahen Osten. Giulio Cesare in Egitto am Theater Erfurt

Was zieht uns mitten im Winter in eine verschneite mittelgroße Stadt im fernen Thüringen? Sicher, auch Händels Musik, die wir schon so viele Male, sei es in München, sei es beim Händel Festival in Karlsruhe, gehört haben und die uns jedes Mal von neuem fasziniert.  Doch dieses Mal ist es primär die Neugierde auf die Inszenierung, auf die Deutung des Stücks, die Stephen Lawless vorschlägt, die uns nach Erfurt verschlägt. Wir hatten zuletzt im Theater an der Wien eine höchst beeindruckende Arbeit von Lawless gesehen, seine Inszenierung von Yolanda und Francesca da Rimini. Und jetzt waren wir neugierig auf seinen Cesare.

Dass Lawless die Barockoper nicht in eine Revue transformieren würde, wie man das mit großem Erfolg vor mehr als einem Jahrzehnt in München gemacht hat oder dass er, wie man das vor ein paar Jahren in Karlsruhe getan hat, Cesare in den bayerischen Märchenkönig verwandeln würde, das war zu erwarten. Lawless verfolgt eine ganz andere Konzeption. Für ihn sind Cäsars Krieg in Ägypten und die politischen Händel, in die er sich dort verstrickt, eine Variante der ewigen Kriege und Streitereien im Nahen Osten, eines Nahen Ostens, den wir durch unsere Kinobrillen sehen. Filme wie Lawrence von Arabien oder Casablanca oder Kleopatra mit Liz Taylor sind es, die unser Bild vom Nahen Osten bestimmen. Oder ganz einfach gesagt: Hollywood formt und deformiert unser Bild vom Orient.

Geht man von dieser Grundkonzeption aus, dann ist es nur konsequent, dass Spielort des Erfurter Cesare ein Kinosaal, ein herunter gekommener Kinosaal aus den dreißiger oder vierziger Jahren ist, dass auf der Leinwand die  Wochenschau mit Kriegsbildern flimmert, dass die Zuschauer im Kinosaal sich als die Akteure der Oper entpuppen werden, dass aus dem attraktiven Girl, dass die Zigaretten verkauft, Kleopatra wird und dass ein dynamisch- jugendlicher Cesare als  General einer Fallschirmjägertruppe  vom Himmel fällt, dass sich Tolomeo  in einen orientalischen Potentaten in  Phantasieuniform verwandelt, dass Kleopatra im zweiten Akt in Maske und Kostüm der Liz Taylor auftritt und Cesare Laurence von Arabien mimt. So reiht sich denn ein Kinoklischee an das andere, und die Wochenschau liefert im Schwarz-Weißgeflimmer die Kriegsbilder dazu.

Eine überzeugende Konzeption, die nie aufdringlich wirkt, eine Inszenierung, die Elemente der Buffa und der Seria gekonnt verknüpft und die bei aller Aktualisierung nie platt ist.

Doch bei aller Anerkennung, die der Regie gebührt, steht wider Erwarten nicht die Inszenierung im Zentrum des Interesses. Was an diesem Händelabend in Erfurt fasziniert, das ist die Besetzung: brillante Sänger und Sängerinnen in allen Rollen. Ja, es müssen nicht immer die renommierten großen Häuser sein. Auch in den kleinen Musiktheatern wird mitunter große Kunst geboten. Auch dort kann man – mit etwas Glück – faszinierende Opernabende erleben. Wie schade nur, dass man dies in Erfurt so wenig zu schätzen weiß. Das Haus war nur schwach besetzt.

Wir sahen die Aufführung am 12. Dezember. Die Premiere war am 3. November 2012.