Tristan und Isolde hatten wir zuletzt in Starbesetzung im Rahmen des Wagner-Zyklus des Berliner Rundfunksinfonieorchesters konzertant in der Philharmonie in Berlin gehört. Dem entsprechend waren wir mit einer gewissen Skepsis nach Nürnberg gefahren. Ein Vorbehalt, der sich schnell als gänzlich unbegründet erwies. In Nürnberg singt und agiert ein durchweg hervorragendes Wagner Ensemble. Mit welch ausdrucksmächtiger Stimme und welcher Spielleidenschaft Vincent Wolfsteiner als Tristan noch den gefürchteten dritten Akt gestaltet, das ist beeindruckend, wenn nicht bewundernswert. Schade nur, dass er sich im ersten und zweiten Akt so sehr zurückhielt und der Isolde in der Person der Lioba Braun – zu Recht der unumstrittene Star des Abends – das Feld überließ. Schaute und hörte man nur auf sie, dann hätte die Oper eigentlich an diesem Abend in Isolde und Tristan umbenannt werden müssen. Und der Orchesterklang? Natürlich ist das alles perfekt und brillant, was da aus dem Graben tönt. „Verrückt“, wie Wagner die Tristan-Musik wollte, machten die Nürnberger Tristan-Klänge wohl nicht. Sie warfen auch nicht, wie Nietzsche einst Wagners „hypnotische Griffe“ umschrieb, „ die Stärksten noch wie Stiere um“. In Nürnberg spielt man einen eher Pathos freien Wagner. „Zu schön, zu verhalten, so wenig Zauber, so sehr zurück gedrängte Erotik“ – so meinte eine Dame neben mir. Ich weiß nicht. Vielleicht hat sie Recht.
Im Gegensatz zu Maestro Bosch hält es Theatermacherin Wagemakers, die die Inszenierung verantwortet, eher mit der handfesten Erotik, mit einer Erotik im freudianischen Stil. Da dürfen sich Tristan und Isolde schon mal lustvoll am Boden übereinander wälzen. Kreisrund mit großer Öffnung, mit einem Loch, wenn man so will, ist bei ihr die berühmte Neubayreuther Scheibe als Einheitsspielfläche. Über dieser eine gleich gestaltete Scheibe mit Loch. Im dritten Akt, da hat sich die Scheibe geöffnet, ein Pfeiler ragt empor, und der arme Tristan verscheidet im weiten dunklen Loch der Scheibe. Die Postfreudianer im Publikum wissen, was sie sich zu denken haben. Nicht genug damit. Für die Zuschauer, die sich mit vulgärfreudianischen Schemata schwer tun, hält die Regisseurin noch ein Bonbon bereit – im Programmheft versteckt. Der arme Tristan, so heißt es dort, leide unter Traumata. Vor allem habe er ein ‚verdrängtes‘ Mamaproblem. Die Nacht, nach der er sich sehnt, ist in diesem Denkschema, nicht die „Nacht der Liebe“. Sehnsucht nach Geborgenheit quält Tristan. Wo findet der Arme diese? – im Uterus der Mutter. Ein Glück für uns Zuschauer, dass die Inszenierung unserer Theatermacherin nicht zur „Fortsetzung des Programmhefts mit anderen Mitteln“ (Gerhard Stadelmaier) geraten ist. Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn zu der schon so verwerflichen außerehelichen Beziehung zwischen Tristan und Isolde noch eine Inzestgeschichte dazu gekommen wäre. Tristan als Ödipus und Isolde als seine Mama Iokaste. Das wär’s doch gewesen.
Genug der Mäkelei. In Nürnberg ist ein höchst ansprechender Tristan zu hören – für den, der einen Wagner ohne die „Überreizheit der nervösen Maschinerie“ (Nietzsche) zu goutieren vermag. Von der etwas simplen Inszenierung muss man halt absehen.
Wir sahen die Aufführung am 28. Oktober. Die Premiere war 21. Oktober 2012.