Ariodante für Kunsthistoriker und Videokünstler am Theater Basel – und das Publikum darf auch mal mitsingen

Man verstehe uns nicht falsch. In Basel ist ein außergewöhnlicher Ariodante zu sehen und zu hören. In Basel wird unter der Leitung von Andrea Marcon brillant musiziert und gesungen – allen voran Franziska Gottwald in der Rolle des Protagonisten und Maya Boog als unglückliche Prinzessin Ginevra. Und doch steht trotz aller Brillanz, aller Perfektion, trotz aller Bewunderung und Begeisterung, die zu Recht Solisten, Dirigent und Orchester erfahren, nicht der musikalische Part, nicht Händels Musik im Zentrum des  Abends. Im Mittelpunkt stehen Bühnenbild, Video- und Lichtregie. Oder etwas weniger pointiert ausgedrückt: die Fülle  der Bildzitate aus der Malerei der Renaissance ( van Eyck, van Dyck,  Lucas Cranach, Dürer und manche andere), die Traum- und Albtraumszenen,  die Verdoppelung der Personen, die die Videotechnik herbeizaubert, all dies ist höchst kunstvoll und virtuos arrangiert, fasziniert das Publikum – und lenkt es von Musik, Gesang und Bühnengeschehen ab, von einem Bühnengeschehen indes, das es kaum gibt.

Regisseur Pucher stellt sich ganz in den Dienst von Musik und Dekor, begnügt sich damit, die Handlung  bloß anzudeuten oder sie, wie im Finale,  zu karikieren: der schönen Prinzessin droht ein “ Weiberschicksal“ und dem glücklichen Paar ein Kleinbürgerglück. Die Kindergarten Pappis und Mamis im Freizeitlook mit dem Nachwuchs im Tragesack heissen das neue Paar willkommen. Die Arien lässt die Regie erst gar nicht spielen, allenfalls mit vorsichtigen Gesten kommentieren. Die Mehrzahl der Arien wird  überdies von Podesten auf der Vorderbühne herab gesungen. Ganz in der klassischen Tradition der Opera Seria sind die Arien für die Regie nicht Handlungselemente, sondern Momente, Minuten der Reflexion, der Selbstanalyse der Personen.  In diesen Momenten treten die Figuren gleichsam aus den Bildern und Altartafeln, vor oder besser: in denen sie agieren, heraus,  sind nicht mehr Bild- oder Theaterfiguren, sondern Menschen, die sich  in ihrer Freude und in ihrem Leiden dem Publikum nähern, sich mit diesem verbinden  und – so im Finale des ersten Akts – mit diesem gemeinsam die Chorszene  singen. Eine Konsequenz der Personenregie, wenn man so will. Oder auch nur ein hübscher Gag der Desillusionierung.

 Wie dem auch sei. Der Basler Ariodante lohnt alle Male die Reise.
Musik und Gesang sind vom Allerfeinsten, und Highlights aus der alten Pinakothek gibt es noch dazu zu sehen:  ein zweifaches ästhetisches Vergnügen. Wir besuchten die Vorstellung am  27. Oktober. Die Premiere war am 13. Mai 2012.