Die Erde ist eine runde Scheibe mit Unterbau? Eine Freud Parodie? Ein komplexer Siegfried an der Oper Frankfurt.

Die Erde ist eine runde Scheibe mit Unterbau?  Eine Freud Parodie? Ein komplexer Siegfried an der Oper Frankfurt.

Der Frankfurter Ring wird in den Feuilletons sehr gelobt – und dies wohl zu Recht. Zwar habe ich bisher nur den Siegfried zu gesehen. Doch was da in der Aufführung am vergangenen Freitag zu hören und zu sehen war, das ist in der Tat recht beachtlich. Ort der Handlung ist eine runde Scheibe mit einer Öffnung in der Mitte, die sich je nach  dramatischer Situation auftut oder verschließt, eine Scheibe, die sich um ihre Achse drehen und sich  senkrecht aufrichten kann. Das „Frankfurter Opern- und Museumsorchester“ spielt unter der Leitung von Maestro Weigle einen – zumindest erschien es mir so – faszinierenden, manchmal sogar rauschhaften Wagner. Die Hauptrollen sind mit Lance Ryan als Siegfried und Terje Stensvold als Wanderer hochkarätig besetzt und  auch in allen anderen Rollen – seltsamerweise mit einer Ausnahme –  wird brillant gesungen und gespielt.

Vielleicht, so fragt sich zunächst die etwas irritierte  Dilettantin, war die Sängerin der Brünnhilde an diesem Abend nicht in Hochform und konnte deswegen mit einem geradezu idealtypischen Siegfried wie Lance Ryan ihn verkörpert, der ohne eine merkliche Spur von Müdigkeit den ganzen langen Abend  über herausragend sang und agierte, nicht mithalten. Oder ist es vielleicht doch eher so, dass die so verhaltene, zurückhaltende, so altjüngferlich wirkende Brünnhilde  nur das Regiekonzept erfüllt? War das berühmte Finale als Parodie inszeniert? Sollte der so kräftige, lärmende, potente Siegfried, der gerade eben zwei Männer in den Orkus (wenn so will), in ein tiefes Loch gestoßen und den dritten machtlos (wenn man so will), impotent gemacht hatte,  sollte dieser Siegfried, der im engen Kontakt  mit dem Waldvogel (er wird in Frankfurt von einem zartgliedrigen schlanken Tänzer gespielt) soeben seine latenten homoerotischen Neigungen entdeckt hat, sollte dieser Siegfried  im Finale zum Muttersöhnchen mutieren und seinen ödipalen Komplex im Kontakt mit der vermeintlichen Mutter oder der Tante entdeckt haben?  Wirkt deswegen Brünnhilde so merkwürdig blass und zurückhaltend und Siegfried eher verwirrt? Siegfried als homoerotischer, ödipal  geschädigter Kraftprotz, impotent im Verhältnis zu Frauen, die ihn „das Fürchten“ lehren? Der  Frankfurter Siegfried eine Freud Parodie? Ist dies vielleicht die Regiekonzeption der so hoch gehandelten Theatermacherin Vera Nemirova?  Oder ist die Referenz auf Freud nur ein Aspekt oder vielleicht doch die kohärente Grundkonzeption der Inszenierung? Signale, die auf die populären Freud Gemeinplätze hindeuten, gibt es reichlich. Hausen Siegfried und Mime nur deswegen unter der runden Scheibe (der Erdenscheibe?) in der Tiefe, weil dort unten, wie wir ja noch aus dem Rheingold  wissen, die Nibelungen wohnen?  Oder ist ihr Wohnort  in der Tiefe eine Referenz auf das ‚Unbewusste‘? Stürmt der Riese Fafner  nur über die Scheibe, weil  eben auf „der Erde Rücken“  die Riesen wohnen? Wird die Scheibe zu einer Art Achterbahn, die aufwärts führt, weil die Riesen nach Wotans Reich drängen? Oder erwacht der Riese aus dem Unbewussten zum Bewussten und bedeutet dieses zum Bewussten Vordringen seinen Tod? Wotan trägt als Kopfschmuck  scheinbar einen schwarzen Schal, der, als er ihn in der Erda-Szene ablegt, sich als schwarzer Unterrock erweist. Brünnhildes Unterrock, den der Inzest verdächtige Papa Wotan mit sich herumträgt, ein Wotan, der sich in seiner ‚Impotenz‘ in den Schoss der Urmutter flüchtet. Zurück in den schützenden Uterus. Leidet auch der arme Wotan an einem Mutterkomplex? Und warum läuft Siegfried in Lederwams, kurzer Hose und blonder Perücke herum? Ein Hinweis (wegen der blonden Perücke) auf  Fritz Langs Siegfried? Oder vielleicht auf „die Blonden und Blauäugigen, die den  Geist nicht nötig haben“ ? Oder vielleicht  eher auf die „blonden Bestien“ und ihre modernen Nachfolger und deren latente homoerotische Neigungen? Alles Fragen, die die Regie – vielleicht nur mit Ausnahme der recht eindeutigen parodistischen Verweise  auf Freud – nur eben andeutet und deren Beantwortung sie der Imagination der Zuschauer überlässt.

Wie dem auch sei. Faszinierend ist der Frankfurter Ring alle Male: faszinierend in seiner vieldeutigen Inszenierung und seinem nur scheinbar einfachen Bühnenbild, faszinierend mit seinem brillanten Orchester und seinen herausragenden Sängern. Wir sahen die Vorstellung am 11. November 2011. Die Premiere war am 30. Oktober  2011.

Noch ein Hinweis: den konzertanten Wagner Zyklus in der Berliner Philharmonie mit dem  Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter der Leitung von Marek Janowski, der in diesem und im nächsten Jahr aufgeführt wird, sollte man nicht versäumen. Das ist Wagner vom Allerfeinsten. – Und das gleiche gilt für den konzertanten Ring, der Im Opernhaus Leipzig zu hören ist. Es spielt das Gewandhausorchester unter der Leitung von Ulf Schirmer, und es singen Wagnersänger der Spitzenklasse.

 Und noch eine Kuriosität am Rande, eine groteske Koinzidenz. Während das Krawallkid  Siegfried das Rheingold aus Fafners Höhle holt und Säcke voller Papiergeld achtlos verstreut, organisiert sich ‚Draußen vor der Tür‘, zwischen Theater und Europäischer Zentralbank, eine ‚Demo‘ gegen das Geld der Anderen. Und in der Pause, da schaut ein Prosecco trinkendes bürgerliches Publikum aus dem gläsernen Foyer amüsiert hinab auf die (scheinbaren) Antikapitalisten, die bisher so gut vom Geld der Anderen gelebt haben. „Ach, so meint die blonde Evi am Fenster, alles ist doch nur Theater. Da drinnen und da draußen. Alles ist nur Bühne, nichts als Bühne. Und wir spielen mit“.