Tanz auf dem Vulkan und – sozialistischer Realismus: Krieg und Frieden an der Oper Köln

Tanz auf dem Vulkan und – sozialistischer Realismus: Krieg und Frieden an der Oper Köln
Die Kölner Oper, die, so schien es mir nach so manch desaströser Aufführung, die ich dort in den letzten Jahren gesehen habe, klaglos und still verschieden war, ist zu Beginn der neuen Saison gleichsam wie der Phönix aus der Asche wiederauferstanden. Mit Prokofjews Krieg und Frieden haben die Kölner ein grandioses Opernspektakel auf die Bühne gebracht, das zu Recht von Feuilletonradakteuren und Leserbriefschreibern gefeiert wird – ja wenn man die Spektakel im Stil der Grand Opéra des 19. Jahrhunderts mag. Für sein Spektakel schont Regisseur Nicolas Brieger weder Maschinerie noch Statisterie, weder Chor noch Extrachor. Da tanzt und liebt und intrigiert die Moskauer feine Gesellschaft im prunkvollen Palast und verdrängt die immer bedrohlicheren Nachrichten von den Kriegsvorbereitungen Napoleons. Da – so im zweiten Teil – plündern und vergewaltigen Napoleons Soldaten in Moskau, da setzten die Moskauer Kollektive die Stadt in Brand, da zieht ein geschlagener Napoleon durch dichten Nebel zurück nach Frankreich, da werden Soldaten, Bauern, Partisanen gleich zu Hunderten gemeuchelt, und die Leichen der Erschossenen bedecken im Finale den ganzen Bühnenraum. Anleihen bei Visconti im ersten Teil? Breitwandkino pur oder auch, wenn man so will, ’sozialistischer Realismus’ im zweiten Teil? Allerdings, und dafür ist der geduldige Zuschauer dankbar, ohne Verweise auf den ‚großen vaterländischen Krieg’ und die ‚deutschen Faschisten’. Jegliche zeitliche Transponierung und nicht minder jeglichen Verweis auf die stalinistische Epoche und damit auf die Entstehungszeit der Oper versagt sich die Regie und bleibt konsequent im vom Libretto vorgegeben zeitlichen Rahmen der Jahre 1809 bis 1812. Ein historischer Schinken? In den Massenszenen des zweiten Teils sicherlich. Was die Inszenierung indes vor einem platten historischen Realismus oder gar vor einem sozialistischen Realismus als dominante Struktur bewahrt, das sind die exquisit stilisierten intimen Szenen: der Fiebertraum des verwundeten Bolkonski, der seine geliebte Natascha noch einmal in den Armen hält, mit ihr auf dem Krankenbett einen Totentanzwalzer singt und tanzt, während die schwarzen Gestalten der Unterwelt schon nach ihm greifen: ein La Traviata Finale mit umgekehrter Rollenverteilung. Oder die Szene, in der die dem Verführer und Heiratsschwindler verfallene und von diesem schnell verlassene Natascha im weißen Kleid verzweifelt auf dem Boden im Salon hockt: Richardsons Clarissa von ihrem schnöden Liebhaber verführt und verlassen. Oder die Szenen, wie der beobachtende und distanzierte Intellektuelle Pierre Besuchow das Kriegsgeschehen zunächst nur durch ein Fernrohr beobachtet (so im ersten Teil) und (so im zweiten Teil) immer stärker in das Geschehen hineingezogen wird, dabei gleichsam zum engagierten Literaten wird und inmitten der Leichenberge (so im Finale) seine Bestimmung erkennt. Beeindruckende Einzelszenen, die die schwer erträglichen Massenszenen mit ihrem Pathos und ihrer aufgesetzten Gewalttätigkeit, wenn auch nicht vergessen, so doch zumindest verdrängen lassen. Und Musik und Gesang? Ich bin nicht unbedingt ein Prokofjew Fan (manches klingt mir wie nur leicht verfremdeter Tschaikowsky, und der ist auch nicht mein Fall). Doch in Köln wurde unter Leitung von Maestro Michael Sanderling auf höchstem Niveau gesungen und musiziert, so dass mir Prokofjew nicht mehr fremd ist. Aus der großen Zahl der Mitwirkenden will ich nur zwei nennen: Olesya Golovneva als Natascha und Mathias Klink als Graf Besuchow: zwei absolut brillante Sänger und Schauspieler. Wir sahen die Vorstellung am 28. September. Die Premiere war am 16. September 2011.